Angels - Meine Rache waehrt ewig
hatte nicht funktioniert, aber sie war eine Meisterin im Taekwondo, und sie kannte sich mit Schusswaffen aus und wusste damit umzugehen.
Sie bemerkte ein Auto, das langsam die Straße entlangfuhr, als hielte der Fahrer nach etwas oder jemandem Ausschau. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Sie blinzelte, konnte den Fahrer jedoch nicht erkennen.
Wahrscheinlich hatte das gar nichts zu bedeuten. Er hatte sich sicher nur verfahren und suchte nach einer Adresse. Das ganze Gerede über die verschwundenen Mädchen und ein mögliches Gewaltverbrechen hatte sie so misstrauisch gemacht!
Die Scheinwerfer des Wagens erfassten Kristi. Der Fahrer bremste noch mehr ab. Der tiefliegende Nebel kroch über die beschlagenen Fensterscheiben und machte es schier unmöglich zu erkennen, wer dahinter saß. Ein Mann? Eine Frau? Befand sich jemand auf dem Beifahrersitz?
Die Kirchturmglocken schlugen die volle Stunde und erinnerten sie an ihr Seminar.
»Verdammt«, flüsterte sie.
Schon wieder zu spät!
Im Laufschritt eilte sie den Gehweg an dem Gebäude der Naturwissenschaftler entlang, in dem die Labore untergebracht waren.
Sie hörte, wie der Wagen an Fahrt aufnahm und wieder abbremste. Kristi warf einen Blick über die Schulter. Sie wünschte, sie wäre nahe genug dran, um das Nummernschild erkennen zu können, doch alles, was sie sah, war eine dunkle Limousine, vermutlich ein Chevy.
Na und? Ein Auto fährt langsam. Was hat es schon zu bedeuten, ob es ein Ford, ein Chevrolet oder ein verdammter Lamborghini ist?
Mit einem innerlichen Stöhnen sprang Kristi die Stufen des weinberankten Gebäudes hinauf und stieß die schwere Glastür auf.
Ein Mitstudent schoss vor ihr durch die Tür, und sie erkannte Hiram Calloway. Beinahe hätte sie etwas gesagt, weil sie sich langsam von ihm verfolgt fühlte. Sie hatte das ungute Gefühl, dass er sich ebenfalls für Dr. Monroes Montagabendkurs eingeschrieben haben könnte. Mein Gott, richteten Jungs ihre Stundenpläne nicht so ein, dass sie montagabends zu Hause bleiben und Football gucken konnten?
Sollte er zuerst den Seminarraum betreten, konnte sie sich einen Platz weit weg von ihm suchen.
Die Tür schloss sich hinter Kristi. Der Geruch eines Reinigungsmittels mit Kiefernduft vermochte kaum den Formaldehydgestank zu überdecken, der durch die Flure zog. Viele der Bodenplatten waren gesprungen, und die hellgrünen Wände waren mit der Zeit schäbig geworden, genau wie die ausgetretenen Treppenstufen mit dem von Tausenden von Händen blank polierten Geländer.
Die Treppe endete in einem weiten Absatz. Verschiedene Flure gingen von einem breiten Korridor ab, was den Anschein erweckte, man befände sich in einem Kaninchenbau statt in einem Forschungsgebäude.
Kristi folgte den Schildern, die sie um eine Ecke in einen langen Korridor leiteten. An dessen Ende befand sich eine geöffnete Tür, hinter der in einem großen Seminarraum Hiram Calloway und andere Studenten zu sehen waren.
Sie drückte sich die Daumen, dass sie nicht auf Jay treffen würde, und eilte gerade noch rechtzeitig hinter ihren Kommilitonen her.
Doch im Seminarraum bestätigten sich Kristis schlimmste Befürchtungen.
An der Vorderseite des fensterlosen Raums stand Jay McKnight im Licht der Neonröhren. Verschiedene lebensgroße Darstellungen des menschlichen Körpers hingen vor der Wandtafel hinter ihm.
Kristis Mut sank. Was als schlechter Tag begonnen hatte, würde nun ein elender. Sie fing den Blick seiner goldbraunen Augen auf, und obwohl er nicht gerade lächelte, sah er doch nicht zur Seite. Er besaß einen durchtrainierten Körper, sein Kinn war glatt rasiert, seine Lippen waren schmal. Jay trug sein hellbraunes Haar länger, als sie es in Erinnerung hatte, und war ungekämmt, ob aus Nachlässigkeit oder um hip zu wirken, konnte sie nicht sagen. Am erstaunlichsten aber war, dass es das Schicksal mehr als gut mit ihm gemeint hatte, was das Älterwerden betraf. Sie bemerkte zwar eine kleine Narbe über einer seiner Augenbrauen, doch ansonsten hatte er sich kaum verändert. Er verströmte jedoch ein neues Selbstvertrauen, das ihn nur noch anziehender machte.
Nicht dass sie das interessiert hätte.
Sie war über ihn hinweg, und zwar seit langem.
Sie ließ sich auf einen der wenigen freien Plätze fallen und bemerkte nicht gleich, dass sie sich direkt vor Hiram Calloway gesetzt hatte.
Das wird ja immer besser,
dachte sie missmutig, doch dann riss sie sich zusammen. Sie war auf dem College, nicht in der Schule.
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