Angels of the Dark: Verruchte Nächte
Wangen liefen. „Es tut mir so leid“, sagte sie noch einmal.
„Ich bin nicht derjenige, der solches Elend ertragen musste.“
„Aber dir war auch elend.“
„Nicht so sehr wie meinem Bruder.“
„Schmerz ist Schmerz.“ Sanft drückte sie einen Kuss auf die Stelle, wo sie das Herz gezeichnet hatte. „Hast du all diese Jahre enthaltsam gelebt wegen dem, was ihm widerfahren ist? Weil er keine Freude im Leben gefunden hat, wolltest du auch keine erleben?“
„Nein. Natürlich … nicht“, widersprach er, doch er geriet ins Stocken. So hatte er es noch nie betrachtet, aber so deutlich ausgesprochen ließ es sich kaum widerlegen. „Ich weiß es nicht.“
„In der ersten Zeit nach meiner Einweisung hab ich mich nicht gewehrt, wenn die anderen Patienten mich belästigt haben. Ich habe meinen Ärzten nicht widersprochen und jede Tablette geschluckt, die sie mir vorgesetzt haben, weil ich nichts mehr spüren wollte. Und ich hatte meine Eltern leiden sehen, wusste, dass ich auf ganzer Linie versagt hatte, sie im Stich gelassen hatte. Ichglaubte, ich hätte jede einzelne Grausamkeit verdient, die mir widerfuhr.“
„Du warst ein Kind. Was hättest du denn noch unternehmen können?“
„So wie du noch ein Kind warst, als dein Bruder gefangen genommen wurde?“
Schmerzhaft verkrampfte sich sein Kiefer. Sie versuchte, ihn von seinen Fehlern freizusprechen. Auch wenn es ihm gefiel, dass sie das wollte, gab es einen großen Unterschied zwischen ihren Geschichten. Sie hatte um das Leben ihrer Eltern gekämpft; er hatte es seinem Bruder genommen.
„Hadrenial hat mich angefleht, ihn zu töten. Doch ich konnte es nicht. Nicht zu Beginn. Ich liebte ihn mit jeder Faser meines Seins, und endlich war er wieder bei mir. Ich glaubte, er würde wieder gesund werden, und körperlich wurde er es. Aber er war fest entschlossen, zu sterben, und fügte sich immer wieder auf grausamste Weise Schaden zu. Fügte auch anderen Leid zu, um sie zu zwingen, die Hand gegen ihn zu erheben. Ich wusste, eines Tages würde es ihm gelingen, und wenn das geschähe, würde seine Seele in die Hölle verbannt. Ich hätte ihn nie wiedergesehen.“
„Also hast du es schließlich getan.“ Tiefe Trauer lag in ihrer Stimme.
„Ja. Ich habe ihn getötet, um ihn zu retten.“
Er rechnete mit Abscheu. Mit Entsetzen. Doch stattdessen fragte Annabelle ruhig: „Und so dafür gesorgt, dass ihr eines Tages wieder zusammen sein könnt?“
„Nein“, krächzte er. „Er wollte nicht weiterleben, nicht einmal ein Leben nach dem Tod. Ich schenkte ihm den Wahrhaftigen Tod. Ich habe seinen Geist vergiftet.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Wie die Menschen sind wir Geister, die Quelle des Lebens. Wir haben eine Seele, also unsere Logik und unsere Emotionen, und wir leben in einem Körper.“
„Aber … Was ist denn dieser Geist genau, wenn er nicht dasselbe ist wie die Seele?“
„Die Seele ist sozusagen ein Mittler, verwoben mit dem Geistund dem Körper. Ohne den Geist könnte der Leib nicht weiterleben. Stell dir den Geist als Stromquelle vor, die Seele als Stecker und den Körper als das ‚Gerät‘, das dadurch angetrieben wird. Verstehst du, was ich meine?“
„Ja.“
„Für einen Wahrhaftigen Tod müssen alle drei vernichtet werden. Ich flößte ihm das Wasser des Todes ein und vergiftete damit seinen Geist und seine Seele. Dann habe ich seinen Leib verbrannt.“ Und immer noch hegte ein kleiner Teil von Zacharel die Hoffnung, dass Hadrenial nicht wirklich gestorben war, nicht einmal dann, dass sein Geist in das Königreich des Höchsten gelangt war und dort auf Zacharels Tod wartete. Damit sie eines Tages wieder vereint sein könnten.
„Es tut mir so leid, Zacharel. Eine so qualvolle Entscheidung … ein so grausamer Verlust …“
Wenn sie noch weiterredete, würde etwas in ihm zerbrechen. Er spürte es, tief in seinem Inneren. Wühlend grub sich der Kummer durch seine Brust, kurz davor, aus ihm herauszubrechen. „Schlaf jetzt, Annabelle.“ Er küsste sie auf den Scheitel. „Morgen musst du dich deinem Bruder stellen.“
Bis zum Morgen war Zacharels neu entdeckte Begierde durch Annabelle in seinen Armen fast ins Unermessliche gewachsen. Unruhig hatte sie sich hin und her geworfen, ihren Leib an seinem gerieben, ihn überall mit ihren Händen berührt.
Er hatte nichts dagegen unternommen. Und das würde er auch nicht, bis er ihr das Versprechen abgerungen hatte, bei ihm zu bleiben.
Während sie duschte – und er gegen den
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