Angels of the Dark: Verruchte Nächte
gegeben, jeder hatte gehofft, etwas mit ihm unternehmen zu können. Mehr als einmal hatte er Ärger gekriegt, weil er sich nachts rausgeschlichen hatte. Zwei Autos hatte er zu Schrott gefahren. Dann war er aufs College gegangen und es hatte ausgesehen, als käme er zur Ruhe, nähme das Leben langsam ernst.
Jetzt … wirkte er wie eine leere Hülle seines alten Ich.
Ziellos wanderte Annabelle durch das Haus, ein rustikales zweistöckiges Gebäude aus Holz und Naturstein. Nach hinten raus bot es einen atemberaubenden Ausblick auf die Berge. Als Erstes fiel ihr auf, dass er schlampig war. Überall lagen Klamotten,leere Essensverpackungen und Bierflaschen herum. Es gab wenig Nippes und kein einziges Bild von ihr oder ihren Eltern.
Nein, Moment. Auf dem Nachttisch neben seinem schmalen Doppelbett lag ein Bilderrahmen mit einem Foto ihrer Eltern, mit dem Rücken nach oben. Warum hatte er das Bild umgedreht? Ihr zog sich die Brust zusammen und Tränen traten ihr in die Augen, als sie es in die Hand nahm.
„Was willst du werden, wenn du mal groß bist, Annabelle?“, wisperte die sanfte Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf.
Sie schloss die Augen, stellte sich vor, wie ebenso sanfte Finger ihr das Haar aus dem Gesicht strichen und die widerspenstigen Strähnen hinters Ohr steckten. „Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht entscheiden. Ich will um die Welt reisen. Ich will Menschen helfen. Ich will wunderschöne Kleider anziehen und tolles Essen essen und rauschende Feste geben.“
Ein warmes Lachen erfüllte die Luft zwischen ihnen. „Du willst ja ziemlich viel. Hmm, wie wär’s mit… Stewardess, verheiratet mit einem Prinzen?“
Mühsam schluckte Annabelle ein Schluchzen hinunter und stellte das Bild richtig herum auf. Dann zwang sie sich, das Zimmer zu verlassen. Die Tür zum Bad neben dem Schlafzimmer stand offen und sie trat ein, nur um wie angewurzelt stehen zu bleiben. Vor ihr lagen eine leere Spritze, ein Löffel, ein Feuerzeug, ein dickes Gummiband, ein Plastiktütchen mit mehreren kleinen bräunlichen Kügelchen darin … Mit Sicherheit eine Droge, doch welche, wusste sie nicht.
Sie dachte zurück an Brax, wie er in der Tür gestanden hatte. Er hatte kein Oberteil angehabt. Waren da Einstiche in seinen Armbeugen zu sehen gewesen? Sie … wusste es nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, von einer Emotion in die nächste katapultiert zu werden. Freude, Schuld, Nostalgie, Zorn und wieder Schuld, dann Bedauern und schließlich jene Trauer, die ihr fast die Tränen in die Augen getrieben hatte.
Vielleicht war er gar nicht drogensüchtig. Vielleicht hatte er einen Mitbewohner und …
Aber nein. Mit diesen blutunterlaufenen Augen, den eingefallenenWangen und der wächsernen Haut war eindeutig er der Junkie, nicht sein potenzieller Mitbewohner. Kein Wunder, dass er das Foto ihrer Eltern umgedreht hatte. Er hatte nicht gewollt, dass sie sahen, was er hier tat. Mit Macht kehrten die Schuldgefühle und die Trauer zurück, schnürten ihr die Kehle zu.
Ihre Schultern sackten herab, als die Verantwortung für das alles sich schwer auf sie legte. Wahrscheinlich hatte er angefangen, sich zuzudröhnen, um dem Schmerz des Verlusts zu entkommen.
„Schatz, ich bin zu Hause“, erklang von unten eine Frauenstimme.
Schatz? Einen Augenblick lang hob sich die Last von ihren Schultern. Wie schlimm konnte seine Abhängigkeit schon sein, wenn eine Frau bereit war, es hinzunehmen? Dann ergriff eine entsetzliche Starre Besitz von Annabelle. Diese Stimme kannte sie. Aber … woher?
Erst vor Kurzem hatte sie sie gehört, da war sie sich sicher.
„Schatz? Hast du mich nicht gehört?“
Wie ein Schlag traf sie die Erkenntnis. Driana, die Frau aus dem Club. Besessen von einem Dämon. Böse. Die Luft in Annabelles Lungen schien zu gefrieren, kristallisierte, schnitt in ihr Fleisch. Eine Waffe. Sie brauchte eine Waffe. Natürlich hatte sie die neuen Messer, die Zacharel ihr gegeben hatte, aber Klingen hatten Driana schon einmal nicht aufhalten können. Hektisch suchte sie das Bad nach etwas Besserem ab, dann das Schlafzimmer. Unter einem Kissen fand sie schließlich eine Pistole.
Sie hatte noch nie eine Waffe abgefeuert, war sich nicht einmal sicher, ob das Ding geladen war, aber vielleicht würde schon die bloße Drohung, auf sie zu schießen, Driana Beine machen. Breitbeinig stellte sie sich hin, hob den Arm und richtete den Lauf der Waffe auf die geöffnete Tür.
„Brax?“ Schritte hallten im Flur, kamen immer
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