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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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triumphierenden Grinsen, konnte ich mir nicht verkneifen zu denken, das typische Grinsen eines Mannes mit einem kräftigen Strahl, ein Grinsen, das sich über Männer lustig machte, die nicht so locker pinkeln konnten wie er.
    Denn war ein kräftiger Strahl nicht auch ein Zeichen für Männlichkeit? Verlieh ein kräftiger Strahl seinem Besitzer vielleicht das Recht der ersten Wahl, wenn es an die Verteilung der Frauen ging? Und war andersherum das schlaffe Tröpfeln ein Hinweis darauf, dass da unten womöglich noch etwas anderes verstopft war? Wurde das Fortbestehen der Art aufs Spiel gesetzt, wenn Frauen sich nicht mehr von dem gesunden Plätschern eines kräftigen Strahls leiten ließen, sondern einen Mann mit diesem Getröpfel den Vorzug gaben?
    An der Pinkelwand waren keine Trennwände angebracht, ich brauchte den Blick nur nach unten zu richten, um den Schwanz des Mannes mit dem Bart erkennen zu können. Nach dem Geplätscher zu urteilen handelte es sich zweifellos um einen großen Schwanz, überlegte ich, einen großen Schwanz der schamlosen Art, mit dicken, blauen Adern, gleich unter der Oberfläche einer dunkelgrauen, gut durchbluteten, aber dennoch ziemlich rauen Haut: die Art Schwanz, die Männer in Versuchung bringen kann, die Ferien auf einem FKK-Campingplatz zu verbringen, oder sich jedenfalls das kleinste Modell einer eng anliegenden Badehose aus möglichst dünnem Stoff zuzulegen.
    Ich war kurz verschwunden, weil es mir etwas zu viel geworden war. Über die Urlaubsziele und die Dordogne waren wir schließlich beim Rassismus angekommen. Meine Frau hatte mich in meiner Ansicht unterstützt, dass Rassismus, indem man ihn tarnte und totschwieg, das Übel nur noch verstärkte, anstatt es zu beheben. Aus dem Nichts, ohne mich zuvor auch nur anzuschauen, war sie mir zu Hilfe geeilt. »Ich glaube, Paul meint …« So hatte sie angefangen in Worte zufassen, was sie glaubte, das ich meinte. Aus jedem anderen Mund hätte es erniedrigend geklungen oder beschützend und bevormundend, als sei ich nicht selbst in der Lage, meine Ansichten in verständliche Worte zu verpacken. Doch aus Claires Mund bedeutete »Ich glaube, Paul meint …« nicht mehr oder weniger, als dass die anderen zu langsam von Begriff waren, dass sie nicht kapierten, was ihr Mann ihnen doch äußerst klar und deutlich unter die Nase gerieben hatte – und dass sie allmählich die Geduld verlor.
    Danach hatten wir uns dann wieder eine Zeit lang über Filme unterhalten. Claire hatte Who’s Coming To Dinner – Rate mal, wer zum Essen kommt »als den rassistischsten Film aller Zeiten« bezeichnet. Die Geschichte darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Die Tochter eines wohlhabenden weißen Ehepaars (gespielt von Spencer Tracy und Katherine Hepburn) stellt ihren neuen Verlobten zu Hause vor. Zum großen Entsetzen der Eltern entpuppt sich der Verlobte als Schwarzer (Sidney Poitier). Während des Essens wird langsam die Katze aus dem Sack gelassen: der Schwarze ist ein guter Schwarzer, ein intelligenter Schwarzer in einem ordentlichen Anzug, der an der Universität lehrt. In intellektueller Hinsicht ist er den weißen Eltern seiner Verlobten haushoch überlegen, die eher durchschnittliche obere Mittelklassentypen sind, voller Vorurteile über Schwarze.
    »Und genau in diesen Vorurteilen befindet sich der rassistische Pferdefuß«, hatte Claire gesagt. »Denn die Schwarzen, die die Eltern aus dem Fernsehen und aus den Vierteln kennen, in die sie sich nicht hineinwagen, sind arm und faul und gewalttätig und kriminell. Doch ihr zukünftiger Schwiegersohn ist zum Glück ein angepasster Schwarzer, der den ordentlichen Dreiteiler der Weißen angezogen hat, damit er möglichst stark den Weißen ähnelt.«
    Serge hatte meine Frau während ihrer Erörterung mit dem Blick eines interessierten Zuhörers angeschaut, doch seineKörperhaltung verriet, wie schwer es ihm fiel, Frauen zuzuhören, die er nicht sogleich in übersichtliche Kategorien wie »Titten«, »Knackarsch« oder »würde ich nicht von der Bettkante stoßen« einteilen konnte.
    »Erst viel später tauchten im Film unangepasste Schwarze auf«, fuhr Claire fort. »Schwarze mit Baseballmützen und Angeberautos: gewalttätige Schwarze aus den weniger guten Vierteln. Aber sie waren authentisch. Jedenfalls handelte es sich bei ihnen nicht um einen Abklatsch der Weißen.«
    Mein Bruder hüstelte und räusperte sich. Er hatte sich aufrecht hingesetzt und den Kopf näher zum Tisch bewegt, als

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