Angerichtet
Beleuchtung und dem Gestank von Boursin zu tun, weshalb mir das Gartenfest meines Bruders und seiner Frau nur noch wie ein ranziger, überholter Werbespot vorkam: Ein Spot von vor zwanzig Jahren für eine Käseimitation, die kein Gramm französischen Käse enthielt, genau wie hier, im Herzen der Dordogne, wo sie alle nur Frankreich spielten, die Franzosen aber durch Abwesenheit glänzten.
Wegen der Anti-Niederländer-Sprüche zuckten sie alle nur mit den Schultern. »Böse Jungens!«, meinte die arbeitslose Schauspielerin, und ein Texter aus einer Werbeagentur, der inzwischen »den Laden« verkauft hatte und sich für immer in der Dordogne niederlassen wollte, meinte, dass die Sprüche vor allem gegen die niederländischen Camper gerichtet seien, die ihre Lebensmittel alle von zu Hause mitbrachten und keinen Cent beim hiesigen Einzelhandel ausgaben.
»Wir sind da anders«, sagte er. »Wir essen in ihren Restaurants, trinken mal einen Pernod in ihren Bars und lesen ihre Zeitung. Gäbe es Leute wie Serge und die vielen anderen nicht, hätte manch ein Maurer oder Klempner schon dichtmachen können.«
»Ganz zu schweigen von den Weinbauern!«, sagte Serge und erhob das Glas: »Prost!«
Weiter hinten, im dunkleren Teil des Gartens, in der Nähe der Sträucher, knutschte der spindeldürre Choreograf mit dem Jüngeren des Autorenpärchens herum. Ich sah eine Hand unter einem Hemd verschwinden und wendete den Blick ab.
Und was wäre, überlegte ich, wenn die Sprüchesprüher es nicht bei Sprüchen beließen? Es brauchte wahrscheinlich nicht viel, um diesen laschen Haufen in die Flucht zu schlagen. Niederländer bekamen es schnell mit der Angst zu tun, wenn man ihnen mit echter Gewalt drohte. Für den Anfang reichte es, ein paar Fenster einzuwerfen. Bliebe der gewünschte Effekt aus, könnte man ein paar von den Zweithäusern abfackeln. Nicht zu viele, denn das Ziel der Aktion bestand darin, dass die Häuser wieder in den Besitz der Leute zurückfallen sollten, die eigentlich ein Recht darauf hatten: junge Franzosen, frisch verheiratete Pärchen, die jetzt wegen der explodierenden Immobilienpreise bei ihren Eltern wohnen bleiben mussten. Die Niederländer hatten in dieser Gegend die Preise für Häuser komplett verdorben, sogar für Ruinen wurden inzwischen horrende Summen gezahlt. Mithilfe relativ günstiger Maurer wurden die Ruinen umgebaut und standen dann den größten Teil des Jahres leer. Wenn man es sich genau überlegte, war es eigentlich verwunderlich, dass es bislang nur zu so wenigen Zwischenfällen gekommen war und die einheimische Bevölkerung es bei Sprücheschmierereien belassen hatte.
Ich ließ den Blick über den Rasen schweifen. Jemand hatte inzwischen eine CD von Edith Piaf aufgelegt. Babette hatte sich vor dem Fest in ein weites, schwarzes durchscheinendes Kleid gehüllt und versuchte nun ein paar unsichere, angetrunkene Tanzschritte zu den Klängen von »Non, je ne regrette rien …«. Wenn Fenstereinschmeißen und Brandstiftung nicht das gewünschte Resultat erbrachten, musste man zu härteren Waffen greifen, überlegte ich noch. Man könnte so ein niederländisches Weichei aus seinem Haus locken, indem man ihm weismachte, man würde irgendwo einen total günstigenWeinbauern kennen, um ihn dann irgendwo in einem Maisfeld zu verdreschen – nicht nur eine Tracht Prügel, sondern schon etwas mehr, mit Knüppeln und Dreschflegel.
Oder wenn man mal irgendwo einen frei herumlaufen sähe, in einer Straßenkurve mit einem Korb voller Baguette und Rotwein, auf dem Rückweg vom Supermarkt, dann könnte man den Wagen mal schnell zu einem Ausweichmanöver zwingen. Fast aus Versehen. »Plötzlich aus dem Nichts tauchte er auf der Motorhaube auf«, könnte man dann später immer noch sagen – oder man sagte gar nichts, ließ den Niederländer einfach wie einen angefahrenen Hasen am Straßenrand liegen und beseitigte zu Hause dann eventuelle Spuren von der Stoßstange und dem Kotflügel. Solange die Botschaft ankam, war alles erlaubt: Ihr gehört nicht hierher! Verschwindet in euer eigenes Land! Spielt doch in eurem Land Frankreich, mit Baguette, Käse und Rotwein, aber nicht hier, bei uns!
»Paul …! Paul …!« In der Mitte der Rasenfläche stand Babette mit ihrem wallenden Gewand gefährlich nahe an einer dieser Partykerzen und streckte die Arme nach mir aus. »Milord« schallte aus den Boxen. Tanzen. Tanzen auf dem Rasen mit der Frau meines Bruders. Wie Gott in Frankreich. Verzweifelt hielt ich Ausschau
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