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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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dann wären sie einfach wieder die ekligen Schwulis gewesen. Und das hat Claire glaube ich mit Rate mal, wer heute zum Essen kommt gemeint: dass der freundliche Sidney Poitier auch so ein Schätzchen war. Dass der Filmemacher kein Deut besser war als die Frau aus der Sendung. Eigentlich hatte Sidney Poitier eine Vorbildfunktion. Er musste als Vorbild für all die anderen lästigen Schwarzen herhalten, für die störenden Schwarzen. Die gefährlichen Schwarzen, die Diebe und Vergewaltiger und die Crackdealer. Doch wenn ihr auch so einen schönen Anzug wie Sidney anzieht und ihr euch auch wie ein Musterschwiegersohn verhaltet, dann werden wir Weiße euch in die Arme schließen.«

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    14
    Der Mann mit dem Bart trocknete sich die Hände ab. Inzwischen hatte ich meinen Hosenschlitz wieder zugezogen. Ich hatte einfach so getan, als sei ich mit dem Pinkeln fertig, auch wenn man nichts davon hatte hören können, und danach hatte ich mich direkt zum Ausgang begeben. Die Hand hatte ich bereits auf dem Türknauf aus rostfreiem Edelstahl liegen, als ich den Mann mit dem Bart sagen hörte: »Ist das nicht etwas lästig für Ihren Freund, so als Prominenter im Restaurant zu sitzen?«
    Ich war stehen geblieben. Ohne den Türknauf loszulassen, hatte ich mich halb zu ihm umgedreht. Der Mann mit dem Bart trocknete sich die Hände mit mehreren Papiertüchern ab. Versteckt zwischen den Haaren des Bartes hatte sich sein Mund wieder zu einem Grinsen verzogen – doch diesmal war es kein triumphierendes Grinsen, eher ein schlaffes Entblößen der Zähne. Mir tut dieser Satz nicht leid, lautete die Botschaft dieses Grinsens.
    »Er ist nicht mein Freund«, antwortete ich.
    Das Grinsen erlosch. Auch die Hände rührten sich nicht mehr.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. »Ich habe Sie dort nur sitzen sehen. Wir, meine Tochter und ich, wir haben uns gedacht: Wir verhalten uns einfach ganz normal, wir werden ihn nicht anstarren.« Ich sagte nichts. Die Enthüllung über die Tochtererleichterte mich mehr, als ich es zugeben wollte. Dem Bart war es auch trotz schamlosen Pinkelstrahls nicht gelungen, sich eine dreißig Jahre jüngere Frau zu angeln. Er warf die nassen Papierknäuel in den Abfalleimer aus rostfreiem Edelstahl, ein Modell mit einem Schwingdeckel, und es war für ihn nicht ganz einfach, die Ladung mit einem Mal darin verschwinden zu lassen.
    »Ich habe mich gefragt«, sagte er. »Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht möglich wäre, meine Tochter und ich, wir glauben beide, dass unser Land eine Veränderung braucht. Sie studiert Politikwissenschaften, ich habe mich gefragt, ob sie gleich vielleicht zusammen mit Herrn Lohman auf ein Foto könnte?«
    Er hatte eine glänzende, flache Kamera aus der Sakkotasche hervorgeholt. »Dauert nicht lange«, sagte er. »Ich verstehe ja, dass es ein Privatessen ist, und ich will ihn nicht belästigen. Meine Tochter … meine Tochter wird es mir niemals verzeihen, dass ich mich überhaupt getraut habe, so etwas zu fragen. Sie war es, die sofort gesagt hat, man solle einen prominenten Politiker im Restaurant nicht anstarren. Dass man ihn während seiner spärlichen Freizeit in Ruhe lassen müsse. Und dass man erst recht nicht mit ihm gemeinsam auf ein Foto solle. Andererseits weiß ich, dass sie es wunderbar finden würde. Gemeinsam mit Serge Lohman auf einem Foto zu sein, meine ich.«
    Ich sah ihn an. Ich fragte mich, wie das wohl war, wenn man einen Vater hatte, dessen Gesicht man nicht erkennen konnte. Ob irgendwann einmal der Tag käme, an dem man als Tochter eines solchen Vaters die Geduld verlöre – oder ob man sich einfach daran gewöhnte, wie an eine hässliche Tapete?
    »Kein Problem«, sagte ich. »Herr Lohman hat es immer gerne, wenn er mit Parteianhängern in Kontakt treten kann. Wir befinden uns momentan noch in einem wichtigen Gespräch,Sie müssen mich einfach im Auge behalten. Wenn ich Ihnen ein Zeichen gebe, dann ist das der richtige Moment für ein Foto.«

[Menü]
    15
    Als ich von der Toilette zurückkam, herrschte an unserem Tisch vor allem Stille: eine angespannte Stille, die einem sofort zeigt, dass man etwas Wesentliches verpasst hat.
    Gemeinsam mit dem Bart war ich wieder ins Restaurant gegangen, er voraus, weshalb mir die Stille erst auffiel, als ich kurz vor unserem Tisch angekommen war. Nein, es war etwas anderes, das mir auffiel: die Hand meiner Frau, die diagonal über den Tisch Babettes Hand ergriffen hatte. Mein Bruder hielt den Blick starr auf seinen

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