Angerichtet
würde er ein Mikrofon suchen. Ja, genau so sah es aus, überlegte ich, jede seiner Bewegungen zeigten wieder den Landespolitiker und Favoriten für das Amt des Ministerpräsidenten, der im Gemeindesaal der Provinz die Frage einer Dame aus dem Publikum beantwortet.
»Und was bitte, Claire, ist gegen angepasste Schwarze einzuwenden?«, fragte er. »Wenn man dich so hört, hat man den Eindruck, dass es dir lieber ist, wenn sie ganz sie selbst bleiben, auch wenn das bedeutet, dass sie sich in ihren Ghettos weiterhin für ein paar Gramm Crack abmurksen. Ohne jegliche Chance auf sozialen Aufstieg, auf Fortschritt.«
Ich sah meine Frau an. Innerlich munterte ich sie dazu auf, meinem Bruder den Gnadenstoß zu versetzen, der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, sie musste ihn nur noch versenken. Es war einfach zu grässlich, um es in Worte zu fassen, wie er es fertigbrachte, selbst in einer simplen Diskussion über Menschen und ihre Verschiedenheit sein eigenes Parteiprogramm hineinzuschmuggeln. Sozialer Aufstieg, Fortschritt … Ein Wort, weiter nichts. Geschwafel fürs Parteivolk.
»Ich rede hier nicht über Fortschritt, Serge«, sagte Claire. »Ich spreche von dem Bild, das wir – Niederländer, Weiße, Europäer – von anderen Kulturen haben. Wovor wir Angst haben. Wenn eine Gruppe mit schwarzen Typen auf einenzukommt, wechselt man nicht eher die Straße, wenn sie Baseballmützen auf dem Kopf haben und federnde Air-Nikes tragen, als wenn sie ordentlich gekleidet sind? So wie du und ich? Oder als Diplomaten? Als Büroangestellte?«
»Ich wechsel nie die Straßenseite. Ich bin vielmehr der Meinung, wir sollten allen als Gleichgestellte begegnen. Du sprichst von dem, wovor wir Angst haben. Da stimme ich dir zu. Wenn wir erst einmal damit aufhörten, Angst zu haben, dann wären wir an dem Punkt angekommen, von dem aus wir weiter daran arbeiten können, uns gegenseitig Verständnis entgegenzubringen.«
»Serge, ich bin nicht jemand, den du in einer Debatte mit leeren Begriffen wie Fortschritt und Verständnis zu überzeugen versuchen musst. Ich bin deine Schwägerin, die Frau deines Bruders. Wir sind hier einfach unter uns. Als Freunde. Als Familie.«
»Es geht um das Recht, ein Arsch zu sein«, sagte ich.
Eine kurze Stille trat ein, die sprichwörtliche Stille, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können, wenn der Restaurantlärm dies nicht verhindert hätte. Zu behaupten, alle Köpfe am Tisch drehten sich im selben Moment zu mir um, wie man es manchmal liest, würde zu weit gehen. Aber man schenkte mir durchaus Aufmerksamkeit. Babette kicherte. »Paul …!«, mahnte sie.
»Nein wirklich, ich musste plötzlich an eine Fernsehsendung vor ein paar Jahren denken«, erklärte ich. »Keine Ahnung, wie sie noch hieß.« Ich wusste es durchaus, aber ich hatte keine Lust, den Namen der Sendung zu nennen, das würde nur ablenken. Der Name könnte meinen Bruder zu einer sarkastischen Bemerkung herausfordern, die darauf abzielte, meine eigentliche Botschaft schon im Voraus zunichtezumachen. Ich wusste gar nicht, dass du dir so was ansiehst … oder so. »Es ging um Schwule. Eine Frau wurde interviewt, die über sich zwei Schwule wohnen hatte, zwei Männer, die zusammenlebten und die manchmal die Katzen der Nachbarin versorgten. ›Richtige Schätzchen, die beiden Jungs!‹, sagte die Frau. Eigentlich wollte sie sagen, ihre Nachbarn seien zwar zwei Schwule, doch die Pflege ihrer Katzen würde beweisen, dass sie Menschen wie du und ich waren. Die Frau hockte da in der Sendung und strahlte selbstgefällig, denn von nun an würden alle wissen, wie tolerant sie doch war. Die beiden Jungs von oben waren nämlich richtige Schätzchen, auch wenn sie unanständige Sachen miteinander machten. Durchaus unsittliche Sachen, ungesund und widernatürlich, kurz: pervers, doch die fürsorgliche Behandlung ihrer Katzen hatte dies alles wettgemacht.« Ich machte eine kurze Pause. Babette lächelte. Serge hatte ein paar Mal die Augenbrauen hochgezogen. Und Claire, meine Frau, wirkte amüsiert – so sah sie mich immer an, wenn sie wusste, welche Richtung es nahm.
»Um verstehen zu können, was diese Frau über ihre Nachbarn gesagt hat«, ereiferte ich mich weiter, weil sonst niemand etwas sagte, »muss man die Situation einfach einmal umdrehen. Wenn die beiden schwulen Schätzchen den Katzen keine Brekkies gebracht hätten, sondern sie im Gegenteil mit Steinen beworfen oder vergiftete Schweinelende vom Balkon hinuntergeworfen hätten,
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