Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
Vom Netzwerk:
Fahrrad abgeschlossen und ging zum Restauranteingang. Die Mailboxansagerin nannte das Datum (heute) und die Zeit (zwei Uhr mittags), zu der die letzte Nachricht auf die Box gesprochen worden war.
    Papa hat keine Ahnung.
    »Michel!«, rief ich. Schnell steckte ich das Handy in die Tasche. Er blieb stehen und hielt nach mir Ausschau. Ich winkte.
    Und das soll auch so bleiben.
    Mein Sohn kam über den Kiesweg angelaufen. Wir trafen uns an der Stelle, wo der Weg begann, sie war hell erleuchtet. Aber vielleicht würde ich so viel Licht auch brauchen, überlegte ich.
    »Hallo«, sagte er. Er trug die schwarze Nike-Mütze, um den Hals baumelte der Kopfhörer, das Kabel verschwand imKragen seiner Jacke. Eine grüne, wattierte Jacke von Dolce & Gabbana, die er sich vor Kurzem selbst von seinem Kleidungsgeld gekauft hatte. Danach war kein Geld mehr für Socken und Unterhosen übrig gewesen.
    »Tag, mein Junge«, sagte ich. »Ich dachte, ich geh dir schon mal ein Stück entgegen.«
    Mein Sohn sah mich an. Seine ehrlichen Augen. Am ehesten könnte man seinen Blick als unbefangen beschreiben. Papa hat keine Ahnung.
    »Du hast gerade telefoniert«, sagte er.
    Ich sagte nichts.
    »Mit wem denn?«
    Er versuchte möglichst locker zu klingen, doch ich hörte den fordernden Unterton in seiner Stimme heraus. Ein Ton, den ich noch nie zuvor gehört hatte, und ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten.
    »Ich wollte dich anrufen«, sagte ich. »Hab mich gewundert, dass du so lange brauchst.«

[Menü]
    21
    So ist es passiert. So sehen die Tatsachen aus.
    Eines Nachts, vor einem Monat oder zwei, machten sich drei Jungen von einer Party auf den Heimweg. Das Fest hatte in der Kantine des Gymnasiums stattgefunden, auf das zwei der drei Jungen gingen. Die beiden waren Brüder. Einer von ihnen war adoptiert.
    Der dritte Junge ging auf eine andere Schule. Er war ihr Cousin.
    Obwohl der Cousin selten oder fast nie Alkohol trank, hatte er an diesem Abend doch ein paar Bier getrunken. Wie die beiden anderen. Die beiden Cousins hatten mit Mädchen getanzt. Keine festen Freundinnen, denn die hatten sie zurzeit nicht – einfach nur mit verschiedenen Mädchen. Der adoptierte Bruder hatte eine feste Freundin. Die längste Zeit des Abends hatte er mit ihr in einer dunklen, etwas abgesonderten Ecke herumgeknutscht.
    Die Freundin war nicht mitgekommen, als die drei Jungs aufbrachen, die Jungen mussten alle um ein Uhr zu Hause sein. Das Mädchen musste auf ihren Vater warten, der sie dort abholen würde.
    Es war zwar schon halb zwei, doch die Jungen wussten, dass sie sich zeitlich noch innerhalb des von ihren Eltern akzeptierten Rahmens bewegten. Es war zuvor vereinbart worden, dass der Cousin im elterlichen Haus der beiden Brüderübernachten würde – die Eltern des Cousins waren ein paar Tage nach Paris gefahren, das war der Grund.
    Sie waren auf die Idee gekommen, noch ein Bier in irgendeiner Kneipe auf ihrem Heimweg zu trinken. Aber da sie nicht genug Geld dabeihatten, mussten sie erst noch welches abheben. Ein paar Straßen weiter – sie befanden sich ungefähr auf halber Strecke zwischen der Kantine und ihrem Zuhause – sahen sie einen Geldautomaten. Es handelte sich um die Sorte, bei der sich der eigentliche Automat in einem Minihäuschen befindet, das vorne von Glastüren verschlossen wird.
    Einer der beiden Brüder, nennen wir ihn einfach den leiblichen Bruder, geht hinein und will Geld ziehen. Der adoptierte Bruder und der Cousin bleiben draußen und warten. Doch der leibliche Bruder kommt schon bald wieder raus. So schnell?, fragen die beiden anderen. Also echt, Mann, sagt der Bruder, Scheiße Mann, meine Fresse, hab ich mich jetzt erschrocken. Was?, fragen die beiden anderen. Dort drinnen, sagt der Bruder. Dort liegt jemand. Da pennt einer, in einem Schlafsack, mein Gott, Mann, fast wär ich dem auf den Kopf getreten.
    Was danach passiert ist, vor allem, wer zuerst auf die verhängnisvolle Idee gekommen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Alle drei waren sie sich darüber einig, dass es in dem Häuschen mit dem Geldautomaten gestunken hat. Ein grässlicher Gestank: Kotze und Schweiß und noch etwas anderes, das von den dreien als Leichengeruch beschrieben wurde.
    Das ist wichtig, der Gestank. Jemand, der stinkt, hat mit weniger Sympathien zu rechnen. Gestank kann den Blick trüben. Ganz egal, wie menschlich diese Gerüche auch sein mögen, sie sorgen zugleich auch dafür, dass die Gestalt eines Menschen aus Fleisch

Weitere Kostenlose Bücher