Angerichtet
verschwitzt, verklebtes Haar, ein bis auf ein paar schwarze Stumpen zahnloser Mund. Aber das klingt doch fast wie eine Frau …
Und im selben Moment bewegt sich der Schlafsack erneut: eine Hand, noch eine Hand, ein ganzer Arm und dann ein Kopf. Er ist nicht gleich zu erkennen, oder eigentlich doch, es liegt an dem Haar mit den kahlen Stellen. Schwarzes Haar, hier und da grau mit durchschimmernder Kopfhaut. Ein Mann wird anders kahl. Der Kopf sieht furchterregend aus, unrasiert, oder nein, zwar behaart, aber eindeutig anders als bei einem Mann. Verpisst euch! Scheißkerle! Die Stimme klingt schrill, die Frau schlägt mit einem Arm um sich, als würde sie eine Fliege verscheuchen wollen. Eine Frau. Der Bruder und der Cousin sehen sich an. Das wäre der Moment, um hier abzuhauen. Später werden sie sich beide an diesen Moment erinnern können. Die Feststellung, dass eine Frau in dem Schlafsack liegt, verändert alles. Komm, wir gehen, sagt der Bruder dann auch tatsächlich. Verdammt noch mal!, schreit die Frau. Verpisst euch! Verpisst euch!
Halts Maul!, sagt der Cousin. Maul halten, sage ich! Er versetzt dem Schlafsack einen kräftigen Tritt, doch es ist wenig Platz, er hat bereits Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, und rutscht aus, mit der Schuhspitze streift er den Schlafsack und trifft die Frau unter der Nase. Eine Hand mit dicken, aufgequollenen Fingern und schwarzen Fingernägeln fasst sich ans Gesicht. Da ist Blut. Scheißkerle!, ertönt es. Die Stimme ist inzwischen so laut und schrill, dass sie den ganzenRaum ausfüllt. Mörder! Pack! Der Bruder zieht den Cousin mit zur Tür. Komm, wir gehen. Dann stehen sie draußen vor der Tür und hören sie von drinnen noch Verdammte Drecksbande rufen, jetzt zwar etwas leiser, aber immer noch so laut, dass es bis zur nächsten Straßenecke zu hören sein müsste. Aber es ist zu spät, die Straße liegt verlassen da, hinter höchstens drei oder vier Fenstern brennt noch Licht.
Ich wollte nicht … sagt der Cousin. Ich bin ausgerutscht. Scheiße, was für eine Schlampe! Na klar, sagt der Bruder. Na klar wolltest du nicht. Meine Herren, die soll doch endlich das Maul halten! Aus dem Häuschen sind noch immer Geräusche zu hören, aber die Tür ist ins Schloss gefallen, es klingt bereits gedämpfter. Gekeife, undeutliches, beleidigtes Gekeife.
Dann müssen sie plötzlich lachen, später können sie sich noch genau daran erinnern, wie sie sich angesehen haben, an ihre empörten und erhitzten Gesichter und an das gedämpfte Schimpfen hinter der Glastür und wie sie plötzlich in Gelächter ausgebrochen sind. Sie schütten sich aus vor Lachen. Sie können es nicht unterdrücken, sie müssen sich an der Wand stützen, danach halten sie sich aneinander fest. Sie fallen sich um den Hals, ihre Körper schütteln sich vor Lachen. So ein Pack! Der Bruder imitiert die schrille Stimme der Frau. Scheißkerle! Der Cousin geht in die Hocke und fällt dann auf den Boden. Aufhören! Bitte aufhören! Ich sterbe gleich!
An einem Baum stehen ein paar Müllsäcke und auch noch ein paar andere Gegenstände, die dort offenbar für die Müllabfuhr hingestellt wurden: ein Bürostuhl mit Rollen, ein Karton, in dem sich mal ein Breitwandbildschirm befunden hat, eine Schreibtischlampe und eine Fernsehbildröhre. Sie lachen immer noch, als sie den Bürostuhl hochheben und damit zum Automatenhäuschen gehen. Verdammtes Drecksweib! Sie schleudern, soweit das in der Enge überhaupt möglich ist, den Bürostuhl auf den Schlafsack, in den die Frau inzwischen wieder gekrochen ist. Der Cousin hält die Tür auf, der Bruder holtdie Schreibtischlampe sowie zwei volle Müllsäcke. Der Kopf der Frau taucht wieder aus dem Schlafsack auf, das Haar klebt tatsächlich in verfilzten Strähnen zusammen. Sie hat einen Bart, oder ist es Schmutz? Mit dem Arm versucht sie den Bürostuhl wegzuschieben, doch es gelingt ihr nicht richtig. Der erste Müllsack trifft sie deshalb voll ins Gesicht, ihr Kopf kippt zurück und prallt hart gegen den Abfallkorb aus Eisendraht, der an der Wand hängt. Jetzt wirft der Cousin die Schreibtischlampe. Es handelt sich um ein altmodisches Modell mit einem runden Schirm und Teleskoparm. Der Schirm trifft die Frau an der Nase. Es ist vielleicht seltsam, dass sie jetzt nicht mehr schreit, dass der Bruder und der Cousin die schrille Stimme nicht mehr hören. Als ihr der zweite Müllsack an den Kopf knallt, ist sie schon ganz benommen. Dreckige Schlampe, penn doch woanders! Such dir
Weitere Kostenlose Bücher