Angerichtet
hervorragenden Niederländisch. Es war vollkommen verständlich, dass er seine Identität irgendwo anders suchte, auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans, in den schwarzen Vororten von New York und Los Angeles.
Und dennoch war an dieser Identitätsnummer von Anfang an etwas, das mich ungeheuer störte. Es war das, was mich schon immer an dem Adoptivsohn meines Bruders gestört hatte: diese Scheinheiligkeit, wenn man es so ausdrücken wollte, dieses Schlawinertum, diese perfide Art, sein Anderssein gegenüber seinen Adoptiveltern, seinem Adoptivbruder oder seiner Adoptivschwester auszuspielen, und auch gegenüber seinem Adoptivcousin.
Früher, als er noch klein war, kroch er viel öfter als Rick oder Valerie zu seiner »Mutter« auf den Schoß – oft heulend. Dann strich Babette ihm übers schwarze Köpfchen und sprach tröstende Worte, aber unterdessen war sie bereits auf der Suche nach dem Schuldigen für Beaus Kummer.
Den fand sie fast immer ganz in der Nähe.
»Was ist mit Beau passiert?«, fragte sie in vorwurfsvollem Ton ihren leiblichen Sohn.
»Nichts, Mama«, hörte ich Rick einmal sagen. »Ich habe ihn nur angesehen.«
»In deinem tiefsten Inneren bist du doch einfach ein Rassist«, hatte Claire gesagt, als ich ihr einmal meine Abneigung gegenüber Beau gestanden hatte.
»Überhaupt nicht!«, sagte ich. »Ich wäre dann ein Rassist, wenn ich dieses scheinheilige Bürschchen nur wegen seiner Hautfarbe und seiner Herkunft nett fände. Positive Diskriminierung. Ein Rassist wäre ich, wenn ich aus der Scheinheiligkeit unseres Adoptivneffen einen Schluss über Afrika im Allgemeinen zöge und Burkina Faso im Besonderen.«
»War doch nur ein Witz.«
Ein Fahrrad tauchte auf der Brücke auf. Ein Fahrrad mit Licht. Vom Fahrer sah man nur die Silhouette, aber ich würde mein Kind auch im Dunkeln unter tausend anderen erkennen. Die Haltung, mit der er sich über den Lenker beugte, wie ein Rennradfahrer, die gekonnte Leichtigkeit, mit der er das Rad von links nach rechts schwingen ließ und sich dabei kaum bewegte … wie ein Raubtier, schoss es mir plötzlich durch den Kopf, ohne den Gedanken unterdrücken zu können. Ich hatte »wie ein Athlet« sagen wollen – denken wollen. Ein Sportler.
Michel spielte Fußball und Tennis, und vor einem halben Jahr war er einem Fitnessklub beigetreten. Er rauchte nicht, trank kaum mal Alkohol und hatte bereits mehrmals seine Abneigung gegenüber Drogen geäußert, sowohl Soft- als auch Harddrugs. »Dösköppe«, so nannte er die Kiffer aus seiner Klasse, und wir, Claire und ich, waren wirklich froh. Froh über unseren Sohn ohne Verhaltensauffälligkeiten, der selten die Schule schwänzte und seine Hausaufgaben machte. Er war kein herausragender Schüler, er rackerte sich nie groß ab, eigentlich bemühte er sich nie mehr als dringend notwendig, aber andererseits gab es auch nie Klagen über ihn. Seine Noten und Zeugnisse waren meistens »passabel«, nur in Sport bekam er immer eine Eins.
»Alte Nachricht«, sprach die Mailboxansagerin.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich noch immer mit Michels Handy am Ohr auf der Brücke stand. Michel war schon in der Mitte der Brücke angekommen. Ich drehte mich um, damit ich mit dem Rücken zur Brücke stand, und ging schon mal zum Restaurant zurück; egal wie, ich musste jetzt schnell die Verbindung abbrechen und das Handy wieder in der Tasche verschwinden lassen.
»Heute Abend ist okay«, erklang Ricks Stimme. »Wir machen das heute Abend. Ruf mich an. Ciao.«
Danach kam die Stimme der Mailboxansagerin, die Zeit und Datum der hinterlassenen Nachricht mitteilte.
Hinter mir hörte ich Michel, die Reifen seines Rads knirschten auf dem Kiesweg.
»Alte Nachricht«, sagte sie noch einmal.
Michel fuhr an mir vorbei. Was sah er? Einen Mann, der in aller Seelenruhe durch den Park schlenderte? Mit einem Handy am Ohr? Oder sah er seinen Vater? Mit oder ohne Handy?
»Hallo, mein Lieber«, hörte ich jetzt Claires Stimme am Ohr, im selben Augenblick, als mein Sohn an mir vorbeifuhr. Er fuhr weiter bis zu dem beleuchteten Kiesweg und stieg dann vom Rad. Er schaute sich um und ging zum Fahrradständer, der links neben dem Eingang stand. »Ich bin in einer Stunde zu Hause. Papa und ich gehen um sieben Uhr zum Restaurant, ich sorge schon dafür, dass wir bis nach Mitternacht wegbleiben. Ihr müsst es also heute Abend tun. Papa hat keine Ahnung, und das soll auch so bleiben. Tschüs, mein Lieber, bis später, Kuss.«
Michel hatte sein
Weitere Kostenlose Bücher