Angerichtet
deshalb kochte ich es während der Wochen, die Claire im Krankenhaus lag, täglich.
Ich wollte die Nudeln gerade auf unsere Teller verteilen, als es an der Tür klingelte. Serge und Babette fragten nicht erst, ob sie hereinkommen durften, sondern standen bereits im Wohnzimmer, bevor ich sie hineinbitten konnte. Ich sah, wie vor allem Babette das Zimmer und danach das ganze Haus musterte. Während jener Wochen aßen wir nicht wie sonst in der Küche, sondern ich hatte im Wohnzimmer aufgedeckt, vor dem Fernseher. Babette betrachtete die Tischsets mit dem Besteck und schaute dann zum Fernseher, der lief, weil in ein paar Minuten das Sportjournal anfangen würde. Dann sah sie mich an, mit einem speziellen Blick, ich weiß nicht, wie ich ihn sonst beschreiben könnte.
Dieser spezielle Blick zwang mich in eine Verteidigungshaltung. Ich stammelte etwas über den festlichen Aspekt unserer gemeinsamen Mahlzeiten, denn bei gewissen Dingenwich ich stark von unserem gewohnten Ablauf ab. Hauptsache es waren nirgends Spuren des Verfalls zu erkennen, es brauchte ja keine Kopie des Haushalts zu sein, wie Claire ihn sonst führte. Ich glaube, ich ließ bei Babette sogar das Wort Männerhaushalt fallen und auch das Wort Feriengefühl.
Eigentlich war das ziemlich blöd von mir, und im Nachhinein kann ich mir deswegen auch wirklich vor den Kopf schlagen, schließlich war ich niemandem Rechenschaft schuldig. Aber Babette war inzwischen die Treppe hinaufgegangen und befand sich bereits auf der Schwelle zu Michels Zimmer. Michel saß dort auf dem Boden und war von seinem Spielzeug umgeben. Er war gerade damit beschäftigt, hundert Dominosteine hintereinander aufzustellen, als Imitation von World Domino Day , doch als er seine Tante sah, sprang er auf und warf sich ihr in die ausgestreckten Arme.
Mit etwas zu viel Begeisterung für meinen Geschmack. Er mochte seine Tante zwar sehr, doch wie er sich jetzt mit beiden Armen an ihre Oberschenkel klammerte und sie, so schien es, nicht mehr loslassen wollte, erweckte das doch den Anschein, er würde eine Frau im Haus vermissen. Eine Mutter. Babette drückte ihn und wühlte ihm durchs Haar. Währenddessen schaute sie sich im Zimmer um, und ich schaute mit.
Der Platz auf dem Boden wurde nicht ausschließlich von Dominosteinen in Beschlag genommen. Überall im Zimmer lag Spielzeug, flog Spielzeug herum, konnte man eigentlich besser sagen, und es gab fast keine freie Stelle mehr, auf die man einen Fuß hätte setzen können. Michels Zimmer gab ein chaotisches Bild ab, mal milde ausgedrückt. Das fiel mir nun selbst auf, als ich das Zimmer mit Babettes Augen sah. Natürlich lag es an dem Spielzeug, das überall herumflog, doch das allein war es nicht. Die beiden Stühle, das Sofa und Michels Bett waren mit Kleidungsstücken übersät, sowohl sauberen als auch schmutzigen, und auf dem Schreibtisch und demHocker neben seinem (ungemachten) Bett standen Teller mit Krümeln und halb leergetrunkene Gläser mit Milch und Limonade. Am meisten stach einem wahrscheinlich noch der Apfelkrotzen ins Auge, der nicht auf einem Teller lag, sondern oben auf einem Ajax-Amsterdam-Trikot mit dem Namen Kluivert auf dem Rücken. Der Apfelkrotzen war, wie es nun einmal bei allen Apfelkrotzen der Fall ist, die länger als fünf Minuten Licht und Luft ausgesetzt sind, dunkelbraun geworden. Ich erinnerte mich daran, dass ich Michel mittags einen Apfel und ein Glas Limonade gebracht hatte, doch dem Apfelkrotzen war nicht anzusehen, dass er erst seit ein paar Stunden dort lag, wie alle Apfelkrotzen sah er eher so aus, als würde er bereits seit Tagen auf dem Trikot vor sich hin gammeln.
Ich konnte mich zudem auch daran erinnern, dass ich morgens zu Michel noch gesagt hatte, wir müssten heute Abend mal gemeinsam sein Zimmer aufräumen. Aber aus vielerlei Gründen, oder besser gesagt, aufgrund des beruhigenden Gedankens, dass später auch noch genug Zeit war, das Zimmer aufzuräumen, war nichts daraus geworden.
Ich sah Babette in die Augen, während sie noch immer meinen Sohn in den Armen hielt und ihm mit einer Hand liebkosend über den Rücken strich, und wieder erkannte ich den speziellen Blick. Ich wollte noch aufräumen!, hätte ich ihr am liebsten zugeschrien. Wenn du morgen gekommen wärst, hättest du in diesem Zimmer vom Boden essen können. Aber ich tat es nicht, ich sah sie an und zuckte nur mit den Schultern. Es sieht hier zwar ein bisschen wie im Schweinestall aus, sagten ihr meine Schultern, aber who cares ?
Weitere Kostenlose Bücher