Angerichtet
legen, doch zum Glück ließ er es bleiben.
»Du hast schon mit Claire genug um die Ohren«, sagte Babette mit einem Lächeln und strich dabei mit einem Finger über meinen Handrücken. »Wenn wir Michel eine Weile zu uns nehmen, findest du besser zu dir selbst. Und Michel ist auch mal raus aus dem Ganzen. Er hält sich wacker. Ein Kind spricht das vielleicht nicht laut aus, aber sie bekommen durchaus alles mit.«
Ich holte ein paar Mal tief Luft, besonders wichtig war nun, dass meiner Stimme kein Zittern anzumerken war.
»Ich würde euch ja gerne zum Essen einladen«, sagte ich, »aber es reicht nicht.«
Babettes Finger auf meinem Handrücken hielt inne, das Lächeln blieb noch auf ihrem Gesicht, doch es schien nun von dem zugrunde liegenden Gefühl losgelöst zu sein – falls es ein solches Gefühl überhaupt gegeben hatte. »Wir wollen auch gar nicht zum Essen bleiben, Paul«, sagte sie. »Wir haben nur gedacht, Claire wird morgen operiert, da ist es das Beste für Michel, wenn er heute Abend zu uns kommt …«
»Ich hatte gerade vor, mich mit meinem Sohn an den Tisch zu setzen«, sagte ich. »Ihr seid zu einem ungünstigen Zeitpunkt gekommen. Deshalb möchte ich euch nun bitten zu gehen.«
»Paul …« Babette drückte meine Hand, das Lächeln war nun endgültig verschwunden, sie schaute eher flehend, ein Gesichtsausdruck, der ihr besonders schlecht stand.
»Paul«, sagte auch mein Bruder. »Du wirst doch wirklich einsehen, dass hier nicht gerade die besten Umstände für ein vierjähriges Kind herrschen.«
Mit einem Ruck befreite ich meine Hand aus Babettes Fingern. »Was hast du da gesagt?«, fragte ich. Meine Stimme klang ruhig, sie zitterte nicht – zu ruhig, könnte man vielleicht besser sagen.
»Paul!« Babette klang alarmiert, vielleicht sah sie etwas, das ich nicht sehen konnte. Vielleicht befürchtete sie, ich würde Serge etwas antun, doch dieses Vergnügen würde ich ihm niemals gönnen. Die kalte Woge der Panik war allerdings einer glühenden Wut gewichen, doch die Faust, die ich ihm jetzt am liebsten mitten in die edelmütige, mit meinem und dem Schicksal meines Kindes so stark beschäftigte Visage geschlagen hätte, wäre der ausschlaggebende Beweis dafür gewesen, dass ich meine Gefühle nicht mehr richtig unter Kontrolle hatte. Und jemand, der seine Gefühle nicht richtig beherrschen kann, ist nicht die geeignete Person, einen Alleinerziehendenhaushalt auf Zeit zu schmeißen. Innerhalb einer Minute hatte ich nun bereits – wie oft? – fünfmal meinen Vornamen gehört. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Leute, wenn sie einen oft mit Vornamen ansprechen, immer etwas von einem wollen. Meistens handelt es sich dabei um etwas, das man selbst nicht möchte. »Serge meint nur, dass es dir vielleicht ein bisschen zu viel werden könnte, Paul« – sechsmal –, »wir wissen so gut wie sonst niemand, dass du dir alle Mühe gibst, damit für Michel alles möglichst normal zu sein scheint. Aber es ist nicht normal. Die Umstände sind nicht normal. Du musst bei Claire sein und bei deinem Sohn. Man kann von niemandem erwarten, dass er unter solchen Umständen einen normalen Haushalt führt« – sie hob den Arm, und die Hand und die Finger wiesen mit einer flatternden Geste nach oben: zum herumfliegenden Spielzeug, dem Wäschekorb und dem ungemachten Bett mit den Zeitungen –, »für Michel ist es im Moment am wichtigsten, dass sein Vater da ist. Seine Mutter ist krank. Er soll nicht den Eindruck bekommen, sein Vater schaffe das alles nicht mehr.«
Ich hatte vor, gleich aufzuräumen, wollte ich sagen. Wenn ihr eine Stunde später gekommen wäret … Aber ich sagte es nicht. Ich musste mich hier nicht in eine Verteidigungshaltung manövrieren lassen. Michel und ich räumen dann auf, wenn es uns passt.
»Ich möchte euch wirklich noch einmal bitten zu gehen«, sagte ich. »Michel und ich wollten bereits vor einer Viertelstunde essen. Ich lege bei solchen Dingen Wert auf Regelmäßigkeit. Unter diesen Umständen«, fügte ich noch hinzu.
Erneut stieß Babette einen Seufzer aus. Für einen Augenblick dachte ich, sie würde wieder »Paul …« sagen, aber sie schaute von mir zu Serge und danach wieder zu mir. Im Fernsehen erklang die Schlussmelodie vom Sportjournal , und plötzlich überkam mich eine tiefe Traurigkeit. Mein Bruder und meine Schwägerin waren hier zu einem ungelegenen Zeitpunkt hereingeplatzt, um sich mit meinem Haushalt zu beschäftigen, aber jetzt war zudem noch etwas
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