Angerichtet
Gesichtsausdruck passte.
Und dann? Dann lief alles schief. Oder besser gesagt: Alles, was schiefgehen konnte, ging auch tatsächlich schief. Auf die erste Operation folgte die zweite und danach die dritte. Die Monitore an Claires Bett wurden immer zahlreicher, Schläuche traten aus ihrem Körper heraus und verschwanden an einer anderen Stelle wieder in ihm. Schläuche und Monitore, die sie am Leben halten sollten, doch der Chirurg vom ersten Tag hatte seinen heiteren Ton definitiv aufgegeben. Er sagte noch immer, dass sie ihr Bestes täten, aber Claire hatte inzwischen bereits zwanzig Kilo abgenommen und konnte sich nicht mehr ohne Hilfe in den Kissen aufrichten.
Ich war froh, dass Michel sie so nicht sah. Anfangs hatte ich ihn noch ermuntert, mit mir zur Besuchsstunde ins Krankenhaus zu gehen, aber er tat immer so, als hätte er mich nicht gehört. An dem bewussten Tag, dem Tag, als seine Mutter morgens das Haus verlassen hatte, abends aber nicht zurückgekehrt war, hatte ich vor allem den festlichen Aspekt hervorgehoben, das Ungewohnte an der Situation, wie bei einem Besuch mit Übernachtung oder einem Kindergartenausflug. Wir gingen gemeinsam zum Essen in die Kneipe mit den Normalos, Spareribs mit Pommes war schon damals sein Lieblingsessen. So gut es eben ging erklärte ich ihm, was passiert war. Ich erklärte es ihm, aber zugleich redete ich auch drum herum. Ich verschwieg Dinge, insbesondere meine Angst. Nach dem Essen haben wir uns einen Film in der Videothek ausgeliehen, er durfte länger aufbleiben als sonst, auch wenn er am nächsten Tag wieder in den Kindergarten musste. »Kommt Mama noch?«, fragte er mich, als ich ihm einen Gutenachtkuss gab. »Ich lass die Tür einen Spalt offen«, antwortete ich. »Ich schau noch ein bisschen fern, dann kannst du mich auch hören.«
An dem ersten Abend habe ich niemanden angerufen. Claire hatte mich sehr darum gebeten. »Bitte keine Panik«, hatte sie gesagt. »Vielleicht ist alles ja nicht so schlimm, und in ein paar Tagen bin ich wieder zu Hause.« Da hatte ich bereits mit dem Chirurg auf dem Krankenhausflur gesprochen. »Okay«, sagte ich. »Keine Panik.«
Am nächsten Nachmittag, nach dem Kindergarten, fragte Michel nicht nach seiner Mutter. Er bat mich, die Stützräder von seinem Fahrrad abzumontieren. Ein paar Monate zuvor hatte ich das bereits einmal gemacht, aber da war er nach ein paar hin- und herschlingernden Versuchen schließlich vor der niedrigen Hecke der Parkanlage zum Stillstand gekommen. »Bist du dir sicher?«, fragte ich. Es war ein schöner Tag im Mai. Ohne auch nur ein einziges Mal die Balance zu verlieren, radelte er davon, bis zur nächsten Ecke und wieder zurück. Als er an mir vorbeistrampelte, ließ er den Lenker los und streckte die Arme in die Luft.
»Sie wollen morgen schon operieren«, sagte Claire an dem Abend. »Aber was werden sie genau tun? Haben sie dir noch etwas anderes gesagt als mir?«
»Weißt du, dass Michel mich heute gebeten hat, die Stützräder von seinem Rädchen abzumontieren?«, fragte ich.
Claire schloss kurz die Augen, ihr Kopf war tief in den Kissen versunken, als sei er schwerer als sonst. »Wie geht’s ihm?«, fragte sie leise. »Vermisst er mich sehr?«
»Er will dich so gerne besuchen«, log ich. »Aber mir schien es besser, damit noch etwas zu warten.«
Ich sage hier jetzt nicht, in welchem Krankenhaus Claire lag. Es war nicht weit von uns entfernt, ich konnte mit dem Fahrrad hinfahren oder bei schlechtem Wetter mit dem Auto. Innerhalb von zehn Minuten war ich dort. Während der Besuchsstunde blieb Michel bei einer Nachbarin, die auch Kinder hatte; manchmal kam unsere Babysitterin, ein fünfzehnjähriges Mädchen, das ein paar Straßen weiter wohnte. Ich habe keine Lust, mich über die Details auszulassen, was in diesem Krankenhaus alles schiefging, ich würde nur jedem, dem sein Leben lieb ist – sein eigenes oder das seiner Familie –, ausdrücklich davon abraten, sich jemals dort behandeln zu lassen. Das ist zugleich auch mein Dilemma: Es geht niemanden etwas an, in welchem Krankenhaus Claire lag, zugleich will ich aber auch jeden davor warnen, auch nur in dessen Nähe zu kommen.
»Schaffst du es noch?«, flüsterte Claire eines Nachmittags, es war, glaube ich, nach der zweiten oder dritten Operation. Ihre Stimme klang so schwach, dass ich mein Ohr fast ganz an ihre Lippen halten musste, um sie verstehen zu können. »Brauchst du Hilfe?«
Bei dem Wort Hilfe fing bei mir ein Muskel oder ein Nerv
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