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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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unter dem linken Auge an zu zucken. Nein, ich wollte keine Hilfe, ich schaffte das sehr gut, oder besser gesagt, ich war selbst überrascht darüber, wie gut ich das alles offenbar schaffte. Michel ging pünktlich in den Kindergarten, mit geputzten Zähnen und sauberer Kleidung. Mehr oder weniger sauberer Kleidung, ich ging etwas gelassener mit den Fleckenauf seiner Hose um als Claire, aber schließlich war ich ja sein Vater. Ich habe nie versucht, »Vater und Mutter zugleich« für ihn zu sein, wie ich einmal nachmittags in einer Talkshow einen etwas verblödeten, in einem selbst gestrickten Pullover steckenden alleinerziehenden Vater hatte sagen hören. Ich hatte viel zu tun, aber viel zu tun in positiver Hinsicht. Das Allerletzte, was mir fehlte, waren Leute, die mir, wenn vielleicht auch gut gemeint, Sachen abnehmen wollten, damit ich mehr Zeit für andere Dinge hätte. Ich wollte gar nicht mehr Zeit für andere Dinge haben, ich war im Gegenteil sogar dankbar dafür, dass jede Minute ausgefüllt war. Manchmal hockte ich abends mit einer Flasche Bier in der Küche, ich hatte Michel ins Bett gebracht und ihm einen Gutenachtkuss gegeben, die Spülmaschine summte und brodelte, die Zeitung lag noch ungelesen vor mir, und dann spürte ich plötzlich, wie ich hochgehoben wurde. Ich weiß auch nicht, wie ich es noch anders beschreiben könnte: Es war vor allem ein leichtes Gefühl, sehr leicht. Wenn mich in diesem Moment jemand angepustet hätte, wäre ich zweifellos aufgestiegen, bis zur Decke, wie eine Daunenfeder aus einem Kopfkissen. Ja, das war es: Schwerelosigkeit, ich vermeide es absichtlich, Wörter wie Glück oder auch nur Zufriedenheit zu verwenden. Ich habe gehört, dass manche Eltern nach einem langen anstrengenden Tag ein starkes Bedürfnis danach haben, »einen Moment für sich« zu sein. Dieser magische Moment trete ein, wenn die Kinder endlich im Bett lägen. Keine Minute früher. Ich fand das immer seltsam. Mein magischer Moment war, wenn Michel aus dem Kindergarten nach Hause kam und alles ganz normal verlief. Auch meine Stimme, mit der ich ihn fragte, was er aufs Butterbrot haben wolle, klang vor allem normal. Wir hatten alles im Haus, die Einkäufe hatte ich am Vormittag erledigt, ich achtete auch auf mich, warf einen Blick in den Spiegel, bevor ich das Haus verließ: Ich passte auf, dass ich sauber gekleidet war, dass ich mich rasiert hatte, dass meine Haare nicht so aussahenwie bei jemand, der nicht in den Spiegel guckt. Den Leuten im Supermarkt würde nichts Ungewöhnliches auffallen. Ich war kein geschiedener Vater, der nach Alkohol stank, kein Vater, der den Haushalt nicht im Griff hatte. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, was mir vorschwebte: Ich wollte den Schein der Normalität aufrechterhalten. Für Michel sollte möglichst alles beim Alten bleiben, solange seine Mutter nicht da war. Täglich eine warme Mahlzeit, das schon mal als Erstes. Aber auch sonst sollte es in unserem Alleinerziehendenhaushalt auf Zeit nicht allzu viele offensichtliche Veränderungen geben. Normalerweise rasierte ich mich nicht täglich, mich störte es nicht, ein paar Tage mit Bartstoppeln herumzulaufen, auch Claire hatte das nie gekümmert, doch während dieser besonderen Wochen rasierte ich mich täglich. Ich fand, mein Sohn hatte ein Recht darauf, einen rasierten, frisch riechenden Vater am Tisch sitzen zu haben. Ein frisch riechender Vater würde bei ihm jedenfalls keine falschen Gedanken auslösen, würde ihn jedenfalls nicht daran zweifeln lassen, dass unser Alleinerziehendenhaushalt nur vorübergehend existierte. Nein, äußerlich war mir nichts anzumerken, ich war noch immer ein fester Bestandteil der familiären Dreifaltigkeit. Ein Bestandteil davon lag allerdings (vorübergehend! vorübergehend! vorübergehend!) im Krankenhaus. Ich war der Pilot eines dreimotorigen Passagierflugzeugs, bei dem ein Motor ausgefallen war: Es besteht kein Grund zur Panik, es handelt sich nicht um eine Notlandung, der Pilot hat tausend Flugstunden Erfahrung, er wird die Maschine sicher auf die Erde bringen.

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    Eines Abends schauten Serge und Babette vorbei. Claire sollte am nächsten Tag wieder operiert werden. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, an dem Abend hatte ich Makkaroni gemacht, Maccheroni alla carbonara , ehrlich gesagt das einzige Gericht, dessen Zubereitung ich vollkommen beherrschte. Gemeinsam mit den Spareribs aus der Kneipe-mit-den-Normalos zählte es zu Michels Lieblingsgerichten,

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