Angerichtet
Es gibt zurzeit wichtigere Dinge als ein aufgeräumtes oder unaufgeräumtes Zimmer.
Und wieder dieses Gefühl, Rechenschaft ablegen zu müssen! Ich hatte keine Lust dazu, es gab keinerlei Grund dafür. Sie waren hier einfach hereingeplatzt. Drehen wir den Spieß doch einmal um, überlegte ich, und stellen uns vor, was passiert wäre, wenn ich unangemeldet bei meinem Bruder und meiner Schwägerin geklingelt hätte und Babette vielleicht gerade damit beschäftigt gewesen wäre, sich die Haare an den Beinen zu rasieren, oder Serge sich gerade die Fußnägel geschnitten hätte, dann hätte man doch auch etwas gesehen, was an sich Privatsache war, was normalerweise nicht für die Augen Außenstehender bestimmt war. Ich hätte sie gar nicht ins Haus lassen sollen, überlegte ich jetzt. Ich hätte sagen sollen, es würde gerade nicht so gut passen.
Auf dem Weg nach unten und nachdem Babette Michel versprochen hatte, sie würde gleich, wenn er fertig war, gucken kommen, wie die Dominosteine umfielen, und nachdem ich gesagt hatte, dass das Essen gleich fertig sei und wir dann essen könnten, kamen wir auch noch am Badezimmer vorbei, und am Schlafzimmer von Claire und mir. Ich sah, wie Babette flüchtig einen Blick hineinwarf, sie gab sich keine große Mühe, diesen Blick zu verbergen, insbesondere auf den überquellenden Wäschekorb sowie das mit Zeitungen übersäte und ungemachte Bett im Schlafzimmer. Diesmal sah sie mich nicht mehr an – und vielleicht war das noch verletzender, erniedrigender als der spezielle Blick. Ich hatte klar und deutlich zu Michel gesagt, wir würden gleich essen, ausschließlich zu Michel, ich wollte das unmissverständlich klarmachen, dass mein Bruder und meine Schwägerin nicht zum Essen eingeladen waren. Sie waren zu einem ungelegenen Zeitpunkt gekommen, und es war nun höchste Zeit, dass sie wieder verschwanden.
Unten im Wohnzimmer stand Serge mit den Händen in den Hosentaschen vor dem Fernseher, wo inzwischen das Sportjournal angefangen hatte. Stärker als alles andere – die ziemlich unverfrorene Art, wie mein Bruder dort stand, Hände in den Hosentaschen, Beine etwas auseinander, gerade so als sei es sein Wohnzimmer und nicht das meine, oder die speziellen Blicke meiner Schwägerin in Michels Zimmer, in unser Schlafzimmer, auf den Wäschekorb – waren es die Bilder im Sportjournal , mit einem Grüppchen Fußballer, die Trainingsrunden auf einem sonnenüberfluteten Fußballfeld absolvierten, die mir jetzt sagten, dass meine Pläne für die Abendgestaltung allmählich verdorben wurden, nein, dass sie bereits verdorben waren. Mein gemeinsamer Abend mit Michel vor dem Fernseher, die Teller mit den Maccheroni alla carbonara auf dem Schoß, ein normaler Abend, zwar ohne seine Mutter, ohne meine Frau, aber dennoch ein Festabend.
»Serge …« Babette war zu meinem Bruder gegangen und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt.
»Ja«, sagte Serge, er drehte sich um und sah mich an, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. »Paul …«, setzte er an. Er brach ab und warf seiner Frau einen hilflosen Blick zu.
Babette stieß einen tiefen Seufzer aus. Dann griff sie nach meiner Hand und nahm sie in ihre, ihre Hand mit den schönen, den eleganten, langen Fingern. Der spezielle Blick in ihren Augen war verschwunden. Sie guckte nun freundlich, aber auch entschlossen, als sei ich nicht mehr der Verursacher des totalen Chaos hier im Haus, sondern als sei ich selbst nun der überquellende Wäschekorb oder das ungemachte Bett. Ein Wäschekorb, dessen Inhalt sie im Nu in die Waschmaschine befördern würde, ein Bett, das sie im Handumdrehen gemacht hätte, wie es noch nie zuvor gemacht worden war: ein Bett in einem Hotel, in der Königssuite.
»Paul«, sagte sie. »Wir wissen, wie schwer du es hast. Du und Michel. Mit Claire im Krankenhaus. Wir hoffen natürlich das Beste, doch im Moment ist noch nicht absehbar, wie lange das dauern wird. Deshalb haben wir gedacht, dass es für dich, aber auch für Michel eine gute Idee wäre, wenn er für eine Weile zu uns käme.«
Ich spürte etwas, ein glühend heißes Gefühl der Wut, eine eiskalte Woge der Panik. Wie auch immer, es stand mir wahrscheinlich deutlich ins Gesicht geschrieben, denn Babette drückte sanft meine Hand und sagte: »Ganz ruhig, Paul. Wir sind doch nur hier, um dir zu helfen.«
»Ja«, sagte Serge. Er machte einen Schritt nach vorne, kurz glaubte ich, er wolle meinen anderen Arm festhalten oder mir eine Hand auf die Schulter
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