Angezogen - das Geheimnis der Mode
hervorgegangen war, in den er die Republik gestürzt hatte, zum Orientalen werden: Er verfällt Kleopatra, ihren durchsichtigen Seidenkleidern, ihrem funkelnden Geschmeide, ihren luxuriösen Gelagen. Nach der Selbstzerstörung aller republikanischen Werte bleibt dem Tyrannen Caesar nichts mehr von der römischen virtus, der männlichen Tapferkeit. Nicht nur er, auch dasRömische Reich, das fortan von einem Alleinherrscher tyrannisch regiert wird, ist damit orientalisch geworden.
Rose Bertins Grand Mogol
Mitten in Paris, im Herzen der Hauptstadt der Moderne, beginnt die Mode der Moderne in einem Raum der Fremde, einem Fremdraum. Dieser Raum ist das Gegenstück zu den modernen demokratischen Republiken: tyrannisch und despotisch, sinnlich, weibisch, a-ökonomisch im Luxus schwelgend, die Sinne betörend, jeder Vernunft unzugänglich und darauf bedacht, jeder noch so absurden Caprice zu Gefallen zu sein. Mit ganz und gar unlauteren Mitteln heischt die Mode Vorteile. Von vornherein eignet diesem Raum etwas Karnevaleskes; mit der Vernunft wird die Natur verkehrt. Nicht der Geist, sondern die Sinnlichkeit triumphiert. Nichts dreht sich mehr um die Sache des Allgemeinwohls, alles um eitle Nichtigkeiten. Nicht das Sein, sondern der Schein zählt. Wie Idole werden die Modemacher und die von ihnen kreierten Geschöpfe verehrt. In einer Gesellschaft, die dem Modus des Schauspiels, des Spektakels unterworfen ist, stehen alle Werte kopf.
Rose Bertin, Liebling Marie Antoinettes, eröffnete 17 70 in der Rue St. Honoré das erste Modegeschäft der Moderne, den Grand Mogol . Colette eröffnete hier später ihren Make-up-Salon. Der angesagteste Mode- und Lifestyle-Treff der Neunzigerjahre, Colette, öffnete seine Türen nicht weit davon als Hommage an die Schriftstellerin, die für den ersten lesbischen Kuss auf der Bühne ausgerechnet im Rêve d’Egypte skandalträchtig wurde, aber vielleicht auch in Erinnerung an den Grand Mogol . Bertins Großmogul lässt vor unserem inneren Auge die Pracht des Orients aufleuchten. Ob der Name des Geschäfts nun bloß das Klischee eines in Luxus schwelgenden asiatischen Fürsten beschwört oder tatsächlich einen heute verlorenen,sagenhaften Diamanten aus dem Schatz des mongolischen Reiches meinte, ist fast gleichgültig. Mehr Orient geht nicht. In Rose Bertins Geschäft konnte man fertige Artikel kaufen: Morgenmäntel, Pantoffeln. Bis dahin hatten die Damen sich den Stoff aussuchen, dann schneidern und schließlich von der Modistin verzieren lassen müssen. Mit seinen Modellen von der Stange war Le Grand Mogol der Vorläufer der großen Kaufhäuser und wie diese ein gigantischer Erfolg. Hier traf sich von der Königin bis zu den schwerreichen Frauen der Financiers ganz Paris. Es war die Keimzelle des Spektakels einer in aller Öffentlichkeit inszenierten und zum Konsum angebotenen Weiblichkeit, die später in den Kaufhäusern erblühen sollte.
Der Name des Geschäfts Le Grand Mogol war natürlich der im 18. Jahrhundert ganz Europa beherrschenden Mode des Orientalismus geschuldet, die damit zusammenhing, dass aller Luxus aus dem Orient kam: Seiden und Gewürze, die kostbaren Farben, Edelsteine und ihr spezifischer Schliff, aber auch das weiße Gold, das Porzellan. Chinoiserien wie die Meißener Porzellane, das Teehaus im Potsdamer Park, die Lustschlösser in Nymphenburg, Brühl oder Pillnitz an der Elbe, legen davon beredtes Zeugnis ab. In »türkischem Kostüm«, mit Kakadu und Papagei im exotischen Gewächshaussetting, malte Tischbein seine Töchter. Mozart komponierte die Entführung aus dem Serail, Goethe schrieb den West-östlichen Divan.
Der Orientalismus ist bis heute ein durchgehendes Motiv der Frauenmode. An seinem Anfang stand etwas anstößig Unanständiges, ein öffentliches Ärgernis, ein Skandal. Ein Duft verkehrter Liebe – männliche Frauen, weibische Männer: Chéri . Das von der amerikanischen Frauenrechtlerin Amelia Bloomer 1851 vorgeschlagene Reformkleid wurde als »türkische Tracht« bekannt und galt seinen Feinden nicht als praktisch und vernünftig, sondern mit kürzeren Röcken, Hosen und korsettlos schlicht als unsittlich. 71 Mit der Hose maßten sich die Frauenrechtlerinnen Phallisches an und machten sich zu selbstbestimmten Subjekten des Begehrens. Das Orientalische stehtauch am Beginn der neuen Silhouette, mit der Paul Poiret berühmt wurde. Poiret schaffte das Korsett ab und versuchte – damals allerdings ein Flop – die Pluderhosen der Orientalen, die als
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