Angezogen - das Geheimnis der Mode
Frauen im zweiten Kaiserreich nicht. Mit dem Sieg über die Aristokratie war im Bürgertum bis ins 20. Jahrhundert hinein alle Schminke verpönt. Die Revolution hatte mit dem Adel auch Puder, Rouge und Mouche besiegt. »Reispuder« galt noch Zola als Kurzformel für leichte Mädchen. Sich zu schminken war nun Schauspielerinnen und Prostituierten vorbehalten, die sich nachgerade durch Rot, Weiß und Schwarz definierten: Rouge für Lippen und Wange, hellen Puder für einen schneeigen, ebenmäßigen Teint und schwarzen Kajal für die Augen. Bis heute hat diese Farbentrias den französischen Look geprägt: heller Teint, klar rote Lippen und dunkle Augen.
Nach Baudelaires Willen, der sich damit frontal gegen das bürgerliche Schönheitsideal stellt, soll Weiblichkeit sich nicht als Inszenierung auslöschen, sondern als Artefakt in Erscheinung treten. Mode und Schminke sind keine Künste, die unsichtbar die Natur unterstützen, sondern eine erhabene Überformung, oder – als Seitenhieb auf den gründlich reformierten, calvinistischen Bürger der Republik Genf – »Reformation«, Neuformung von Natur. Deswegen – weil die geschminkte Frau anders, intensiver, übernatürlich ist – erstaunt und bezaubert sie. Das Subjekt der Mode bei Baudelaire sind Frauen und Künstler. Es ist ein Lob von Kunst und Kunstfertigkeit, von Künstlichkeit, der nichts ferner liegt, als natürlich wirken zu wollen. Die, die keine modernen Subjekte sind – die sogenannten Wilden und die Kinder –, verstehen die offensive Zurschaustellung von Künstlichkeit oder anders gesagt: den Sinn des Auftakelns besser als die selbsternannten Kulturmenschen, die ein solches Gefallen am Bling-Bling nur als unzivilisiert abtun können. In der Liebe des Kindes, in der Liebe des Wilden zu bunten Federn, glänzenden Stoffen und künstlichen Formen zeigt sich ihre tiefe Abscheu gegen alles Natürliche. Die Primitiven teilen dieseAbscheu mit den Frauen und dem wahren Künstler. Baudelaire feiert das Schminken und die Mode als trickreiche Zauberei, die Natürliches in Übernatürliches überführt und zerbrechliche Schönheit göttlich macht. Die Frau wird dank dieser künstlich kunstvollen Tricks zur vergötterten Diva. Nie ist die Aufgabe der Frau, die verehrt werden will, so schön auf den Punkt gebracht worden wie von Baudelaire, der Gold, Anbetung und Idol kunstvoll reimt: »idole, elle doit se dorer pour être adorée.« »Das Idol, die Frau, muss sich vergolden, um als solches angebetet zu werden.« Dior hat versucht, es ihm in seiner Parfümreklame nachzutun: »J’adore«, Dior und hat dazu die vergoldete Frau gleich mitgeliefert. Als Idol, als Priesterin, als Statue wird die Frau zum kunstreich hergestellten Götzenbild, das aus der Ordnung des bloß Menschlich-Natürlichen dank menschlicher Schöpferkraft herausfällt und die Anbetung der geblendeten Sterblichen erfährt. Der hier von Baudelaire besungene Götzendienst ist Kurzformel alles Orientalischen schlechthin, dem jede neue Reformwelle Herr zu werden suchte.
Zolas babylonisches Paris
Zolas Au Bonheur des Dames (Das Paradies der Damen), der Roman, der die Entstehung der großen Warenhäuser in Paris im Zweiten Kaiserreich zum Thema hat, bringt den neuen Warenkult als die Religion der Moderne, nämlich als katholisch-orientalischen Eroskult auf den Punkt. Nie war so viel Stoffrausch. Zola schildert die Entwicklung hin zum Prêt-à-porter und beweist ein untrügliches Gespür für die Wichtigkeit der Reklame, die die Mode heute zum Medienspektakel gemacht hat. Die flächendeckende Tapezierung durch Modekampagnen von H&M, Benetton, Mango, Calvin Klein, C&A – Unterwäsche zu Weihnachten, dem Fest der Liebe – ist aus dem Innenraum unserer Städte nicht mehr wegzudenken. ZolasKonsumtempel ist ein Freudenhaus, ein Frauenhaus, dessen krampfartige Zuckungen Paris bis in die Grundfesten erschüttern. Der Reichtum des Universums versickert hier ruinös. Aus dem Grand Mogol Rose Bertins ist ein Bazar geworden, der sich ganze Stadtteile einverleibt. Der Taumel des Konsumrauschs macht die Hauptstadt der Moderne zu einem neuen Babel. Kapitalismus, sagte Marx, ist Götzendienst und hat mit Vernunft wenig, mit Rausch und Religion alles zu tun. Zola gibt dieser Religion der Moderne einen weiblichen Index. Mit seinem Fetischbegriff schöpft Marx aus dem Vokabular der Kolonisatoren. Sie bezeichneten »primitive«, »wilde« und »barbarische« Völker, die ihren menschengemachten Göttern übernatürliche
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