Angezogen - das Geheimnis der Mode
Fähigkeiten zuschreiben, als fetischistisch. Zola beschreibt sein Kaufhaus nicht weniger exotisch als menschenfressenden Baal und Moloch. Er macht es zu einem Ort moderner Tempelprostitution, in dem Weiblichkeit zur Ware und Ware weiblich wird. Die moderne Konsumgesellschaft kritisiert Zola auf der Folie der orientalischen erotischen Kulte, wie sie die Mythenforschung seiner Zeit faszinieren, als weibische, verheerende Idolatrie: Baal, Moloch und die Phalluskulte der Großen Mutter. Im Warenhaus geht es um nichts anderes als um das schwindelerregende, ruinöse Spektakel der Weiblichkeit, um die modische Selbstinszenierung der Frau. Das Warenhaus ist antiker Venustempel, Kathedrale und modernes Bordell in einem. Gold und Sex werden im Zeichen des Orientalischen austauschbar.
Mit dem modernen Kapitalismus und dessen Globalisierung bis in die Kolonien hinein herrscht nicht etwa die Moderne in zivilisatorischer Mission im Orient, sondern umgekehrt droht der Orient die Moderne zu beherrschen. Nicht Frankreich erobert die Kolonien, sondern die Kolonien erobern Paris. Das Kaufhaus wird zum kósmos , zu Weltordnung, Schmuck und Staat; in ihm werden alle Werte der Moderne im Herzen der Moderne pervertiert. In prometheischer Manipulation ist es eine ganz und gar künstliche, mit viel Kunstfertigkeit geschaffene Welt, in der die Nacht zum Tag wird, ein Mittsommernachtsrauschunter einer trügerischen Mitternachtssonne. Selbst der Himmel von Paris wird in der gleichnamigen, himmelblauen Seide »ciel de Paris«, Verkaufsschlager des Bonheur , zur Ware verdinglicht.
Das Warenhaus ist ein orientalischer Markt, ein Bazar; zwei barbusige Frauen zieren das Firmenschild. Barbusigkeit war – man denke nur an Delacroix – mit den Frauen des Harems assoziiert, die im Gegensatz zu den Europäerinnen keine Korsagen trugen und unter den dünnen Seiden nackt waren. Dass man seine Vernunft an der Tür dieses Lusttempels abgibt, wird schon dadurch klar, dass die Schaufensterpuppen, umweht vom warmen Hauch des Begehrens, das die Stoffe bläht und sie belebt, anstelle des Kopfes ein Preisschild tragen. Lust, Gier und Rausch machen Vernunft und Moral den Garaus. Dunkles Objekt der Begierde ist Weiblichkeit, und die, die diese Weiblichkeit begehren, sind die Frauen. Dieser Tempel ist ein spektakuläres Spiegellabyrinth des Self-fashioning, in dem das Begehren nach verführerischer Weiblichkeit zu Gold gemacht wird. Die Kundinnen verausgaben sich völlig in einem Kaufrausch, in welchem Konsum und Koitus verschmelzen. Das Warenhaus ist Tempel eines schamlosen Liebeskultes; die Ausstellung der Waren ist tatsächlich ein Striptease. Das zitternde Begehren nach Seiden und Spitzen, das die Frauen vor Verlangen seufzend erblassen lässt, nimmt Züge des Liebemachens an, coram publico. Das öffentliche Leben wird zum public intercourse. Anstelle des unzugänglichen Tabernakels thront hier der entblößte Alkoven im Allerheiligsten, wo eine Transsubstantiation ganz eigener Art stattfindet. Fleisch wird in einem orgiastisch-steril-ruinösen Lustrausch in Stoff verwandelt. Wo Fleisch war, soll Stoff werden: samtige Schenkel, satinschimmernde Busen, seidenweiche Arme. Lüstern-wollüstig wird alles Gold dazu verwendet, sich in das Idol der Weiblichkeit zu verwandeln. Beherrscht wird dieser Raum orgiastischer Prostitution von einem Adonis mit Goldaugen. Dieser Kapitalist ist kein kühler Geschäftsmann, sondern ein Spieler, ein Manipulator,ein Dekorateur, der in seiner Zweigeschlechtlichkeit etwas vom heidnischen Gott hat, der Frauenfleisch frisst. Er bringt den Sex auf die Bühne der Großstadt. Unwiderstehlicher Herr über diese Prostitution tauscht er, Herr über Stoffe und Frauen, Liebe gegen Geld.
Das Kaufhaus ist antirepublikanischer Ort der tyrannischen Despotie. Männer verfallen den Frauen, die, selbst Sklaven ihrer Lüste, zu Despoten werden. Alle Gegensätze werden umgestoßen: öffentlich versus privat, anständige Frau versus Hure, Natur versus Kunst, ja selbst das Natürlichste der Welt, das Geschlecht, wird invertiert. Männer werden weibisch, Frauen männlich. Frauen verlassen den ihnen zugewiesenen Ort, das Haus, und treten in die Öffentlichkeit. Tatsächlich waren Kaufhäuser die einzigen Orte, wohin die Frauen unbegleitet gehen konnten. Wie schon bei Rousseau ist dieser Einbruch des Weiblichen in die Öffentlichkeit mit einer generellen Herrschaft eines verheerenden, orientalischen Lustregimes gleichgesetzt, in dem alle Ordnung
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