Angezogen - das Geheimnis der Mode
bieten sie sich den Blicken dar. Kein Fenster zur Seele öffnet sich.
Unvergleichlich schön, war Adonis Spielball weiblichen Begehrens. Das ganze weibliche Götterpantheon riss sich um ihn: Aphrodite, Persephone, Artemis. Der Kult um Adonis ist ein Frauenkult. Untröstlich beweinen sie sein Dahinsterben. Adonis ist vor allen Dingen verletzlich, verwundbar. Sein Reiz liegt darin, dass er in seiner Männlichkeit bedroht ist. Der Phalluskult um Adonis ist zugleich Kastrationskult. Der Fruchtbarkeitskult ist Todeskult, der Lust und Schmerz untrennbar verwebt. Tränen und Seufzer mischen sich mit sinnlichem Entzücken. Kaum ist er erblüht, stirbt er wieder dahin. Deswegen die Adonisgärtchen, die schnell aus dem Boden schießende Gräser und Blüten wachsen lassen, die schon im nächsten Moment verdorren. In anderen Mythen wird Adonis von einem Eber – einem eminent phallischen Tier – aufgespießt, um zu Tode verletzt in den Armen der vor Schmerz vergehenden Aphrodite sein Leben auszuhauchen. Verletzlichkeit und eine jugendliche Schönheit, die bereits im Moment ihres Erscheinens vom Tod gezeichnet ist – das sind die wichtigsten Momente dieses Kultes. Und um Verletzlichkeit, Zerbrechlichkeit und Schmerzlust scheint es mir in dieser Mode zu gehen: ein von Thanatos durchdrungener Eros.
Besonders schön zeigt sich das in der Arthur Rimbaud und dessen Gedicht Le dormeur du val (Der Schläfer im Tal) gewidmeten Slimane-Kollektion von 2001. 99 Der in einer bukolischen, aber nicht von Eros, sondern vom Tod durchschossenen Landschaft wie ein krankes Kind liegende Soldat hat zwei rote Löcher in der Seite. Er scheint zu schlafen und ist tot. Wie die Wundmale Jesu den Christen wurden diese Wunden Slimane zu glänzendem Schmuck, köstlichem Geschmeide. Dertödliche Blutfleck, der als Herzwunde kam, wurde von Lesage – der wichtigsten Stickerei für die selbstverständlich weibliche Haute Couture – kunstvoll mit Pailletten als Liebeswunde auf die Hemden gestickt. Damit hat der von seinen Verletzungen geschmückte Körper, der hinter dem gut fallenden Tuch der Herrenanzüge sublimiert wurde, die Bühne betreten.
Zersetzt: Wie das Abendland aus dem Morgenland zurückkam
Der Einbruch der japanischen Designer auf dem europäischen und amerikanischen Markt, der von einem Aufschrei der Entrüstung begleitet wurde, war nicht einfach ein Diversifikationsangebot in Zeiten der Globalisierung, in dem authentisch Japanisches seinen Platz auch in der westlichen Welt findet: Neben französischen, italienischen und englischen Designern kann man jetzt eben auch japanische Labels kaufen. Das war auch schon deshalb schlecht denkbar, weil das mit der Authentizität auch in Japan so eine Sache ist. Der Kimono war im Prinzip eine Chinoiserie; er verdankt sich einer Übertragung aus dem Chinesischen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er per kaiserlicher Verfügung durch die westliche Mode abgelöst. Das kaiserliche Edikt betraf berufstätige Männer in Staatsdiensten: Polizisten, Lehrer und Bahnbeamte bekamen westliche Kleidung verordnet. Armee- und Schuluniformen folgten. Mitte der Dreißigerjahre war die japanische Kleidung auch für Frauen fast ganz verwestlicht, die es schließlich auch ohne kaiserliches Edikt comme des garçons machten: Go west. Der Kimono ist heute ein folkloristisches Relikt, ähnlich wie die Trachten in Bayern und Österreich. Issey Miyake, Rei Kawakubo und Yohji Yamamoto ging es um Konfrontation und Umkodierung der westlichen Mode, die per kaiserlichem Erlass auch ihre Mode war. Entscheidend ist, dass der Körper anders ins Spiel gebracht wird.
Die Frage ist, warum dem Dreigestirn in dieser systematischen Radikalität gelang, was nur wenigen europäischenDesignern gegeben war. Denn ihr Prinzip – die Verschiebung und Verrückung der etablierten Vorstellungen von Mode – ist auch in unserer Tradition das, was die wirklich großen Designer auszeichnet. Die Mode tut in ihren besten Momenten nichts anderes, als das von ihr selbst etablierte System zu durchkreuzen, Erwartungshorizonte zu durchbrechen, oder, um es mit Nietzsche zu sagen, die Umwertung aller Werte zu betreiben. Mode ist kein Spiel ohne Grenzen, sondern das Spiel mit den von ihr selbst aufgerichteten Grenzen: der Störfaktor, der auf eine Ordnung angewiesen ist. Als Kommentar zu den von und in Kleidern festgeschriebenen Grenzen entstanden, ist die Haute Couture ein Diskurs in Kleidern über Kleider und über die Ver-Rückung der in Kleidern etablierten
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