Angezogen - das Geheimnis der Mode
blieb der Körper dabei strikt symmetrisch.
Die herausziehbaren Polster, die in der erfolgreichsten Variante der Dress Meets Body, Body Meets Dress- Kollektion in Vichypolyesterstretch eingenäht waren, sind verrutscht. Vivienne Westwood hatte im Jahr zuvor in ihrer Vive la Cocotte -Kollektion die weiblichen Rundungen durch Polster überbetont. Durch die fast groteske Überzeichnung – größerer Busen, runderer Po, breitere Hüften, schlanke Taille – wurde der Blick auf die Künstlichkeit dieses Prozesses, auf die Konstruiertheit von Weiblichkeit gelenkt. Auch Comme des Garçons führte die künstliche Gemachtheit anziehender Weiblichkeit vor Augen. Dies gelang jedoch nicht durch Überzeichnung, sondern durch eine krasse Entstellung der klassischen, erotisch-weiblichenSilhouette. Die traditionelle Zurichtung von Weiblichkeit auf dem Körper schien eigenartig verrutscht: Ganz unpassend waren die Hüftpolster nach vorne, die Busenpolster aufgeblasen und buckelig auf den Rücken gerutscht. Diese Polsterungen wirkten, als ob sie gewandert und mutiert wären. Auf der Rückseite dieser Entstellung entstand eine ganz neue Form von Anmut. Die so witzige wie hin und wieder auch berückend schöne Silhouette, die den idealen Körper der Weiblichkeit verformt als Last auf sich herumträgt, ohne ihn täuschend Fleisch werden zu lassen, ist Resultat der Verschiebung traditioneller westlicher »aufgepolsterter« Weiblichkeit.
Wenn dem japanischen Trio dieses Überschreiben von Erwartungshorizonten so schlagend gelungen ist, liegt es auch daran, dass sie mit einem fremden Blick auf die westliche Mode sahen. Ihnen steht ein historischer Fundus eines durch die Kleider anders kodierten Geschlechterverhältnisses sowie eines grundsätzlich anderen Verhältnisses zwischen Körper und Stoff zu Gebot. Der traditionelle Kimono wird von beiden Geschlechtern getragen, Stoff und Körper spielen anders zusammen, andere erotische Zonen werden anders betont. War die klassische weibliche erotische Zone in Europa bis ins 19. Jahrhundert das Dekolleté, so ist es in Japan der Ausschnitt, der den Nacken freilegt. An die Stelle der für die europäische Mode so zentralen Modellierung des Körpers durch Kleider-Aufpolsterungen und Einschnürungen – tritt beim Kimono das Prinzip der Mehrschichtigkeit. Entsprechend kann und soll ein Kimono nicht wie angegossen sitzen. Er setzt in puncto Erotisierung auf Zwischenräume.
Wenn Miyake den Raum zwischen Körper und Stoff zum Thema seiner Kleider macht, spielt er mit einem Ort, den es in der westlichen Mode nicht gibt. Wir sprechen vom Kleid als zweiter Haut; im Englischen und Französischen sitzen Kleider so schmiegsam passgenau wie ein Lederhandschuh. Wenn ein Kleid nicht wie angegossen sitzt, muss der Raum zwischen Stoff und Körper auf die Silhouette hin durchsichtig werden,wie das in drapierten Kleidern oder weich fallenden Stoffen, die den Körper umspielen, der Fall ist. Selbst a-mimetische, flächige Kleider der Sechzigerjahre mit A-Linie wie die von Courrèges konturieren den Körper durch Bewegung oder plötzliche Einblicke auf naturalistische Weise. Bei Miyake hingegen ist der Raum zwischen Kleid und Stoff der eigentliche Ort, an dem die Mode spielt. Und sein Markenzeichen ist deshalb die in den Stoff gebügelte Falte geworden, die im so erreichten neuen Volumen das Verhältnis zwischen Körper und Stoff grundsätzlich verändert. Auf dem Körper steht der Stoff wie eine Skulptur. Nichts verweist auf die Form des Körpers. Seine Bewegungen versetzen das Kleid unabhängig von einer Dynamik des Verschleierns und Entblößens in so überraschende wie raffinierte, aber rein abstrakte rhythmische Skulpturen.
Der Bezug auf japanische Traditionen zeigt sich bei Miyake auch in einer grundsätzlich anderen Behandlung des Stoffes. Die Vorstellung des Passenden gibt es beim Kimono nicht. Maß aller Dinge ist die unversehrte Stoffbahn, die ganz bleibt und nicht zurechtgeschnitten, nicht auf den Körper genäht und durch Knöpfe oder Reißverschlüsse angepasst wird. Der Kimono wird um den Körper geschlungen und durch den Obi passend reguliert. Für die alles sprengenden Maße der Sumoringer, die gerne traditionelle Kimonos tragen, werden extra breitere Bahnen gewebt. Miyakes Kollektion aus dem Jahr 1998 A-POC, Akronym für A Piece of Cloth, nimmt diese Tradition der Stoffbahn an: Stoffbahnen oder eigentlich Stoffschläuche wurden am Stück verkauft – jetzt allerdings aus Stretch, so dass sie
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