Angezogen - das Geheimnis der Mode
nicht zu machen und setzten auf neue, synthetische Stretch-Mischungen.
Tatsächlich wurde der männliche Körper in seiner strikten Reduktion auf die Linie zum Ornament. Unter dem Deckmantel eines abstrakten Minimalismus wurde de facto Orientalisierung betrieben. Ironischerweise war es nicht zuletztHelmut Lang, der gerne zur Unterstreichung seines Minimalismus auf Adolf Loos verwies – Das Ornament als Verbrechen –, der die Funktion auf einen rein ornamentalen Charakter gebracht hat: eine Arabeske, eine abstrakte Bewegung im Raum.
Damit ist die Männermode dem Prinzip der Frauenmode, dem Prinzip des Ornamentalen nämlich, das allerdings minimalistisch abstrakt auf die Linie reduziert wird, gefolgt. Und erst, als das passiert war, konnte die Frauenmode, ohne sich männlich zu verkleiden, ebendiesen neuen Männeranzug wie das kleine Schwarze tragen. So gesehen und so verstanden liegt minimalistischer Unisex, jetzt allerdings wirklich sexy, weil nämlich auf einer Übertragung eines weiblichen Prinzips in die Herrenmode beruhend, im Trend. Ostentativ darf der Körper jetzt für beide Geschlechter nur um den Preis seiner Reduktion auf eine schmieg- und biegsame Linie ins Licht, in den Vordergrund gerückt werden. Seine Funktionalität ist dabei nur noch Deckmantel für die Arabeske der Moderne.
Adonis
Über den spezifischen Reiz – oder die Reizlosigkeit – dieses fast anorektisch wirkenden neuen Männer- oder eigentlich Knabentypus hat man viel nachgedacht. Es ist das Gegenbild des erwachsenen, ausgewachsenen, gut proportionierten, muskulösen, klassisch schönen Mannes (Burt Lancaster), der sich mit behaarter Brust immerhin als Lustobjekt auf einem Bärenfell räkelt. Auch hat es mit dem großen Wilden und authentisch autochthonen Berserker als neuer Stilikone der Modeszene wenig zu tun. Dies sind keine ursprünglichen, von der Zivilisation noch nicht kleingekriegten Männer mit natürlichem Stil und urtümlicher Männlichkeit. Nichts auch liegt ihnen ferner als eine in wilden Schnitten und flamboyanten Farben so extrovertiert wie leidenschaftlich gelebte Homosexualität an den Tagzu legen, wie der Designer Bernhard Willhelm sie inszeniert. Hier wird kein Fleisch sexy mit Witz und Ironie in Szene gesetzt. Es sind vielmehr vollkommen stilisierte, in ihrer Künstlichkeit auf Distanz haltende Körper. Als Körperfaschisten hat man Slimane denn auch beschimpft. Männer von Gewicht können diese Anzüge nicht tragen; man muss fast noch Kind, leicht, schlank und agil, fast schon fragil sein. Seit dieser Zeit werden die Herrengrößen genauso wie die Damengrößen fetischisiert. Über 46 (Herren!) geht gar nichts mehr. Diesem neuen Männertyp eignet etwas ganz Unmännliches, nicht Phallisches, so dass die übliche Distinktion schwul/hetero nicht greift. Es ist eher ein Narzisstyp, der steril in sich selbst abgeschlossen fasziniert gefangen ist. Er stellt einen Jüngling aus, der nicht zum Mann reift und etwas Jungfräuliches hat, ohne unschuldig zu sein. Das Pendant zu diesem neuen Mann war vielleicht die Lesbierin des 19. Jahrhunderts. Der extremen Schlankheit des Körpers bleibt etwas Asketisches. Jegliche transzendente Dimension ist dieser Askese jedoch abhanden gekommen. Eine männliche Lolita, zwischen Femme fatale und madonnenhafter Unschuld? Geht es um den kurzen Moment der Gnade bei Jungen und Mädchen, um eine noch unschuldige, paradiesische Sexualität vor dem Sündenfall? Eher wohl um eine Sexualität, die nicht lebenszeugend, sondern todbringend ist. Morbide sperrt sie sich dem sexuellen Konsum.
Adonis, der jugendlich-knabenhafte, unwiderstehlich schöne Gott, scheint herabgestiegen. Der Ursprung der Adoniskulte liegt im Orient, und als ein solcher Gott der orientalischen Antike taucht Lucien de Rubempré, mit einem Hüftschwung so atemberaubend wie der des Adonis, bereits in Balzcas Illusions perdues (Verlorene Illusionen) auf. Das Unwiderstehliche hängt nicht an den schieren Maßen des Goldenen Schnitts zwischen Schulter- und Taillenumfang, der Adonisschnitt genannt wird. Es liegt in einer spezifischen Begehrenskonstellation. Adonis ist in der orientalischen, griechischen und lateinischen Mythologie nicht Gatte und Vater; er ist ganz hingegebenerSohn und Kindgeliebter, der wie Christus bereits im Leben vom Tod gezeichnet ist. Er ist damit Objekt und nicht Subjekt des Begehrens. Auch die Dior-Knaben sind sich entziehendes Objekt des Begehrens. Durch die ihr Gesicht oft verschleiernden Haare blicklos,
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