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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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einfach immer sitzen –, und dazu ein Set von vorgeprägten Schnitten. Es ist der Bezug auf die japanische Tradition, die in der europäischen Mode einen Unterschied macht. Das gelingt jedoch nur, weil diese Tradition dialogisch auf westliche Vorstellungen von Mode bezogen bleibt und in diesem Bezug Spannung entwickelt.
Wie die Jungs, Comme des Garçons
    So systematisch wie witzig hat Rei Kawakubo in ihrer schon über 30 Jahre währenden Karriere auf der internationalen Bühne die zentralen Ideale westlicher Mode dekonstruiert. Hauptstadt der Mode war bis in die Siebzigerjahre hinein mit einer für uns heute nur mehr schwer vorstellbaren Unumschränktheit Paris. »Mode findet in Paris statt, oder gar nicht.« 102 Obwohl Paris, dem Mailand, London und New York in den Achtzigerjahren den Rang hatten streitig machen wollen, um die Jahrtausendwende wieder zur wichtigsten Stadt für die Mode geworden ist, ist diese unhinterfragte Vormachtstellung wohl dahin. Nicht umsonst also wählte Rei Kawakubo Paris für ihr Debut. Und nicht umsonst wählte sie einen französischen Markennamen. Der allerdings ließ aufhorchen. Zum einen war ihm das Crossdressing als grundsätzliches Prinzip eingeschrieben. Zum anderen setzte sie in einer Branche, in der es nur darum geht, sich einen Namen zu machen, auf ein kämpferisches Prinzip. Selbstverständlich hat Kawakubo, die behauptet, keine westliche Sprache zu sprechen, so etwas immer abgestritten. Ihr habe, hat sie gesagt, einfach der Klang des zufällig von Françoise Hardy gehörten Liedes »Tous les garçons et les filles de mon âge« gefallen. Und drittens stellte sie sich in die Tradition von Coco Chanel. Chanel hatte bekanntlich darin, dass sie Frauen wie Dandys und damit endlich, wie sie meinte, als Garçonne natürlich anzog, das Geheimnis ihres Erfolgs gesehen.
    Kawakubos Mode blieb ganz und gar auf die westliche Mode bezogen. Sie legte die Normen, die die westliche und ganz besonders die Pariser Mode bestimmen, bloß, zersetzte und durchkreuzte sie. Sie griff das Monopol Frankreichs in Sachen Eleganz und das »Wissen« der französischen Couture frontal an. Kern ihres Angriffs war das Ideal der »westlichen Frau«: Schönheit, Erotik, Sex-Appeal und vollkommene Anmut.Einer Geld- und Machtelite, die unverdrossen an der ostentativen Zurschaustellung westlicher Werte durch Reichtum und Verschwendung festhält, musste bei dem Gedanken, dass Rei Kawakubo in Gestalt der New Yorker bag ladies Obdachlose auf die Bühne stellte, ein Schauer den Rücken hinunterlaufen. 103
    Systematisch hat Kawakubo an erstens einer Neubestimmung des Verhältnisses von Kleid und Stoff, zweitens der Umkodierung der an den Stoffen hängenden Assoziationen von edlen, teuren und niedrigen, armen Stoffen, drittens der Vorstellung der Perfektion und viertens dem Verhältnis von Entblößen und Verschleiern, dem Code, durch den der Körper erotisiert wird, gearbeitet. Die ausgeklügelte Asymmetrie ihrer Kleider, das lose Übereinanderfallen der Stoffe, die Fehler, die bewusst in die Stoffe gewebt wurden, stempelten die Vorstellung des perfekten Schnitts, der absoluten Linie und der fehlerlosen Ausführung zu einem Relikt von vorgestern. Die völlig willkürlich mit Löchern übersäten schwarzen Pullover, die wie von einem Heer von Motten zerfressen aus dem Gepäck einer Obdachlosen zu kommen schienen – die mittlerweile sagenhafte Spitzenkollektion –, sind ironischer Kommentar noch zur raffiniertesten Stick- und Klöppelkunst, nicht ohne selbst an dieses Raffinement heranzukommen.
    Der Schock, den Kawakubos Mode auslöste, war nicht primär ein sozialer. Ihre Ästhetik ist nicht vor allem eine Ästhetik der Armut, so sehr ihre provokative Wirkung hier auch liegen mag. Es ist eine negative Ästhetik, eine Auseinandersetzung mit unserer Vorstellung von Mode selbst. Kawakubos negative Ästhetik ist von asketischen Idealen des Zenbuddhismus geprägt, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert gegen Protokoll, Zeremonie und Prachtentfaltung des Hoflebens entwickelt wurden. 104 Es mag richtig sein, dass Kawakubo in dieser Hinsicht vom Wabi-Sabi zehrt, einer Ästhetik des Unvollkommenen und Fehlerhaften. 105
    Armut als ästhetische Kategorie der Kargheit, die gegen den Glanz und falschen schönen Schein der eitlen WeltAskese, Selbstgenügsamkeit, Freiheit von Begehren und Einsamkeit fern vom zerstreuenden Trubel dieser Welt stellt, ist jedoch auch im Westen nichts Neues. In frühmodernen Zeiten des Ancien Régime hat die

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