Angezogen - das Geheimnis der Mode
Geschlechter- und Klassengrenzen. Mode ist nichts anderes als diese Überschreitung. Das griffigste Beispiel für dieses Übertragende der Mode ist Chanel. Chanel überträgt Mode der unteren Schichten in die der oberen, Männliches in Weibliches, Englisches in Französisches. Yves Saint Laurents Smoking ist, wie wir gesehen hatten, das letzte Glied in einer langen Kette der Übernahmen aus der Dandymode in die Mode der Frauen, die Mitte der Siebzigerjahre zum Abschluss kam.
The Empire designs back
Die zweite Generation der Modemacher aus Tokio, Issey Miyake, Rei Kawakubo für Comme des Garçons und Yohji Yamamoto, auch The Big 3 genannt, hat unseren, den westlichen Begriff von Mode grundsätzlich revolutioniert. 100 Nach der ersten Modenschau von Comme des Garçons im Jahr 1981 in Paris sollte Mode nicht mehr sein, was sie bis dahin war. Die Revolution der Mode durch diese Designer der zweiten Generation lag nicht darin, dass ihre Mode schlicht und einfach anders, eben nicht wie gewohnt westlich, sondern japanisch war.Nicht um Fremdes, Anderes, Authentisches ging es in diesen Kleidern – dann hätten sie eher in ein ethnologisches Museum gehört. Vielmehr durchkreuzten sie die ästhetischen und erotischen Vorstellungen des Westens. Manchmal aggressiv, meistens witzig, war der dialogische Bezug des japanischen Dreigestirns auf die westliche Mode. Die ver-rückte Geschichte der westlichen Mode ist der Stoff, aus dem ihre Kleider sind. Was die Mode aus Japan ex negativo auf den Laufsteg brachte, waren zunächst einmal unsere eigenen, westlichen Vorstellungen von Mode, von Männlichkeit, Weiblichkeit, Eleganz und Erotik. Diese wurden in der Durchkreuzung oder Ironisierung leichthändig bloßgestellt. Konfrontiert hat uns die japanische Mode nicht primär mit einer fremden Ästhetik; primär hat sie unsere historisch gewachsenen, ästhetischen und erotischen Prämissen offengelegt. Nach Strich und Faden bleiben diese Kleider auf die westlichen Vorstellungen von Mode bezogen – um sie grundsätzlich umzukrempeln.
Der Triumph des Dreigestirns aus Tokio auf der internationalen Modeszene kann deswegen am besten als »The Empire designs back« 101 beschrieben werden. Nie erfüllten oder überboten ihre Kleider das westliche Modeverständnis, wie das die Generation davor – Hanae Mori und Kenzo – getan hatte, sondern bestenfalls umspielten sie es witzig. Am zärtlichsten hat das vielleicht Yamamoto getan (Abb. 16). Seine Kollektionen sind nach 1993 eine berückend schöne, heitere Hymne auf die westliche Mode und entwerfen eine ganz neue sinnlich witzige Eleganz. Reifröcke, Inbegriff des Altmodisch-Sperrigen, werden aus aufblasbarem, federleichtem Gummi hergestellt, aus dem man die Luft lassen kann: Schwerstes löst sich in Luft auf. Oder aus dem sinnlos raumgreifenden Reifrock wird praktischer Stauraum: man zieht ein anderes Kleid wie das Kaninchen aus dem Zylinder hervor. Rei Kawakubo ist in der Dekonstruktion der westlichen Mode die systematischste und radikalste Designerin. Mit schöner Regelmäßigkeit hat ihre Mode seit ihrem europäischen Debut zu Skandalen geführt. Dieses Talenthat sie an Junya Watanabe weitergegeben. Letzter Höhepunkt der Kunst zu provozieren war die Frühjahr/Sommer-Kollektion Dress Meets Body, Body Meets Dress von 1997, die sofort den Spitznamen »lumps and bumps« (Klumpen und Beulen) bekam und Kawakubos dekonstruktive Herangehensweise vor Augen führt (Abb. 17). In der westlichen Mode wird der Stoff zerschnitten und auf dem Körper zurechtgesteckt. Ein vollkommenes Kleid sitzt wie angegossen; der Körper wird dabei durch raffinierte Schnitttechniken idealisiert, sublimiert. Die schlichteste Form dieser Idealisierung ist die Symmetrie, die als Norm jedes ästhetischen Körpers gilt. Teil dieser normierenden Idealisierung, die der Erotisierung des Körpers dient, können Schnürungen und Polsterungen sein. Der männlichen Idealsilhouette – breite Schultern, schmale Hüften – wird durch Schulterpolster nachgeholfen, die weibliche Sanduhrfigur verdankt sich ähnlichen Kunstgriffen: Push-up-BHs, Schnürmieder, die die Taille schlanker, den Busen höher und die Hüften üppiger wirken lassen. Der Cul de Paris sorgte im 19. Jahrhundert für einen herausfordernd ragenden Po, Hüftpolster machten im 18. Jahrhundert die Röcke so breit, dass man kaum mehr durch eine Tür kam. Seit dem 20. Jahrhundert wurden solche Kunstgriffe nicht mehr als künstlich ausgestellt, sondern naturalisiert. Immer
Weitere Kostenlose Bücher