Angor - Schatten der Vergangenheit (Kriminalroman)
Erfühlte sie den Betrag? Sie steckte ihn lässig in ihre Handtasche. Das war lustig, Jules amüsierte sich köstlich, nun begann er, sie zu mögen.
»Wollen Sie die Bank überfallen? Dann helfe ich Ihnen gern, nein, dann bin ich persönlich dabei!«
Jules lachte laut auf. Nein, sie war noch nicht tot und nur zu faul zum Umfallen. Er revidierte sein grausiges Urtei l. Sie war wahrlich lebendig und im Kopf jugendlich, frisch und humorvoll.
»Nein, meine Absichten sind anderer Natur. Hegen Sie einen Groll gegen Ihren letzten Arbeitgeber ?«
Sie hob fast entsetzt ihre Hände hoch.
»Nein, nein Mr. Winthorp. Ich habe dort wunderschöne achtundvierzig Jahre meines Lebens verbracht und hatte mein Auskommen. Das war nur ein kleiner Scherz. Außerdem durfte ich in den ganzen Jahren viele tolle Leute kennenlernen, unter anderen unseren gemeinsamen Freund, Walther Dicks. Ich wusste immer, dass er kein Botschaftsangestellter war, sondern Agent irgendeines amerikanischen Geheimdienstes. Er umgarnte mich in jungen Jahren und überhäufte mich mit Geschenken. Ich lieferte ihm Gewolltes, und wir hatten traumhaftschönen Sex in den besten Hotels in der gesamten Schweiz.
Ach, war das herrlich …«
Sie seufzte so himmlisch schön in ihrem süßen Schwyzerdütsch, Jules glaubte es gern.
»Nun aber, Sie wollen sicherlich ni cht meine alten Bonbons hören. Also, was kann ich für Sie tun, Mr. Winthorp? Und noch zwei kleine Fragen. Warum sprechen Sie als Engländer so gut Deutsch und woher kennen Sie Walther Dicks, einen Amerikaner, wie er im Buche steht?«
»Sie sind clever, Lady. Hört man das wirklich heraus, dass ich Engländer bin?«
Cornelia Rezzi nickte wissend.
Normalerweise beantwortete Jules solche Fragen überhaupt nicht, bei ihr machte ihm dieser Smalltalk nichts aus.
»Nun, ich arbeitete viele Jahre in Bonn in der englischen Botschaft in einem ähnlichen Tätigkeitsbereich wie Walther in seiner, dort haben wir uns auch kennengelernt. Sprachen sind mein Steckenpferd, nunmehr beherrsche ich sieben. Aber ich möchte Sie auch nicht mit meinen alten Kamellen belästigen. Ich habe hier etwas, das Sie sich bitte einmal anschauen mögen .«
Jules nahm aus seinem Jackett seine Brieftasche und holte den kleinen Zettel mit der Zahlen- und Buchstabenreihe heraus und gab ihn ihr.
»Ich denke, das ist ein Nummernkonto der Bollard-Bank, die hier in Bern ihren Hauptsitz hat, habe ich recht?«
Cornelia schaute kurz darauf, schüttelte den Kopf und las leise vor:
»B 31 U 3629035480376.«
Kurze Pause.
»Nein, ein Nummernkonto ist das nicht. Die fangen nicht mit B an. Bei der Bollard-Bank bis 1999 immer mit einer Null und den letzten beiden Jahresziffern also 099, und ab 2000 mit der 00, also dieses Jahr mit der 0013. Danach folgt eine Kolonne mit elf Zahlen. Aber vielleicht ist es ja ein Kennwort, das wäre auch möglich. Viele alte Kunden dachten sich gern irgendwelche Fantasiebegriffe aus oder eben auch eine Kombination von Zahlen und Buchstaben. Wenn Sie möchten, kann ich es kurz überprüfen?«
»Das wäre ja fantastisch.
Wie lange benötigen Sie dafür?«
»Vielleicht eine halbe Stunde, es kommt darauf an, welcher alter Kollege zugegen ist. Die Bollard-Bank ist hier in der Nähe in der Viktoriastraße, genau daneben ist ein Café. Dort treffen wir uns in einer Stunde, dann kann ich Ihnen mehr sagen, einverstanden ?«
»Fein, also bis dann .«
Cornelia stand auf und entfernte sich, Jules blieb noch nachdenklich sitzen.
Wieso vertraute er ihr?
Nur weil sie eine alte Dame mit Stil war, was hieß das schon?
Vielleicht hatte sie doch gelogen und es war der Zugangscode. Wie viele alte Gaunerinnen und Mörderinnen sitzen heute im Gefängnis? Tausende … ihm wurde doch etwas anders.
Nein, es meldete sich nur sein angeborenes Misstrauen, mehr Paranoia. Walther hatte sich für sie verbürgt und das zählte.
Punkt!
Langsam machte er sich auf zum besagten Café.
Eher als Jules dachte, erschien Cornelia Rezzi wieder und überbrachte den kleinen Zettel, aber keine guten Nachrichten. Es war nicht die Eintrittskarte zu einem gebunkerten Vermögen. Kein Geldsegen oder gar ein prallgefülltes Bankfach voller schöner Dinge. Höflich verabschiedete er sich von der netten alten Frau und schlenderte zu seinem Wagen.
„Di esen Trip hierher hättest du dir ersparen können. Eins und eins ergibt nicht immer zwei, du Dussel! Jules, deine Mutmaßungen sind nicht immer richtig.“
Er lachte in sich hinein.
Kapitel
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