Angor - Schatten der Vergangenheit (Kriminalroman)
über ihn preisgeben.
Das viktorianische Gebäude gehörte einem Freund. Es gab keinen Mietvertrag, keine Mietüberweisungen, und Jules war hier nicht gemeldet. Nicht einmal eine Zeitschrift wurde hierher geliefert und sein Name stand auch nicht neben der Klingel oder am Briefkasten. Es gab keine nachprüfbaren Spuren zu seinem Londoner Domizil. Selbst sein Handy ließ er immer im Auto, das zwei Straßen weiter parkte, damit er nicht zu orten war.
Er nahm sich Zimmer für Zimmer des kleinen Reihenhauses vor, augenscheinlich fehlte nichts. Die wenigen persönlichen Gegenstände von Jules oder auch Unterlagen, die hier herumlagen, schienen alle unverändert.
In der Küche hinterließen sie doch ein kleines Geschenk. Jules machte ahnungslos die große Kühlschranktür auf, um eine Flasche Mineralwasser herauszunehmen. Er erschrak nicht wirklich, aber den bluttropfenden abgetrennten Schweinekopf, der ihm entgegenlächelte, fand er gar nicht lustig. Ein Blut-Wasser-Gemisch lief sofort am Rand entlang zum Boden auf die schönen schwarzweißen Fliesen herunter. Jules drückte die Tür wieder zu. In diesem Moment dachte er schon darüber nach, wie der Fremde ihn ohne äußere Spuren dort hineinlegen konnte.
Die Lösung kam ihm sofort in den Sinn.
Der oder die Eindringlinge wollten ihren Besuch gar nicht vertuschen, sie suchten wohl auch nach nichts. Sie wollten nur eine kleine Botschaft hinterlassen …
Jules ging zurück ins Wohnzimmer. Er nahm das Haust elefon und wählte eine Nummer.
E s klingelte mehrmals, bis abgenommen wurde.
»Cornick.«
»Hallo Malcolm, ich bin in deinem Haus und habe ein frisches Stück Fleisch im Kühlschrank vorgefunden.
Soll ich es zum Grillen mitbringen ?«
»Jules, du sprichst in Rätseln !«
»Ich war ein paar Tage auf Reisen und wollte eigentlich etwas ausspannen. Daraus wird nun nichts mehr, zumindest nicht in deinem schönen Haus. Treffen wir uns zum Essen, dann reden wir in Ruhe .«
»Ja, das ist angebracht. Du wirbelst unnötig Staub auf, das scheint einigen Herren nicht zu schmecken. Also um eins im Bibendum.«
Einige nachdenkliche Stunden später betrat Jules das vereinbarte Restaurant in der Fulham Road. Richter Sir Malcolm Cornick saß schon an dem Tisch, welchen er als Stammgast immer bekam. Sie begrüßten sich lächelnd. Der Richter sah aus, wie er immer aussah, müde und verbraucht. Extrem blass, groß und hager. Seine grauen, akkurat kurz geschnittenen Haare und der gezwirbelte Bart glänzten mehr silberfarben.
Herausstechend waren seine dunklen Augen, die jedem „Achtung“ signalisierten.
Sein dunkler Anzug warf nicht eine Falte. Seit Jahren ließ er die Krawatte weg und trug über dem Hemd immer ein großes Seidentuch.
Er wollte seine dicke Narbe, die vom Hals bis fast zum Kinn verlief, einfach nur verbergen.
Eine Hinterlassenschaft eines wahrlich bösen Menschen, der ihn mit einem schneidenden Draht erdrosseln wollte.
Jules setzte sich ihm gegenüber und sondierte die Räumlichkeit. Das Edelrestaurant war noch nicht so gut besucht. Jules fiel niemand auf, der eine Bedrohung darstellen könnte. Sie bestellten als Hauptgang frischen Fisch und dazu eine gute Flasche Wein.
»Erzähle du zuerst, was ist mit meinem Haus, muss es renoviert werden ?«
»Nein, alles ist schön, nur ich werde es vorerst nicht mehr nutzen. Heute früh bin ich aus Dubai-City wiedergekommen. Als ich bei dir eintraf, habe ich sofort bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Da ich weiß, dass du dieses Haus nicht betrittst und ich keine Putzfrau beschäftige, musste also jemand eingedrungen sein. Alles war unangetastet, wirklich Wichtiges habe ic h dort auch nicht herumliegen.
Aber im Kühlschrank fand ich dann einen abgetrennten, blutenden Schweinskopf. Mein Besuch ha t ihn tiefgefroren hineingelegt. Dann ist das Vieh ganz langsam aufgetaut und alles sah gruselig aus, eine schöne Sauerei. Ich habe es so belassen. Vielleicht könntest du ja deine Putzfrau beauftragen, dass sie diesen makabren Müll beseitigt.«
Jules grinste schräg, Malcolm gar nicht.
»Das ist kein Problem. Ich hatte schon gedacht, die Burschen hätten die Einrichtung zerlegt oder eine Leiche würde in meinen Räumlichkeiten herumliegen. Bei dir weiß man ja nie …«
Der Richter räusperte sich.
»Das wäre ja nicht ganz so lustig gewesen. Warum hast du mir nicht erzählt, dass du einen Privatauftrag angenommen hast? Jagst du einem Hirngespinst hinterher? Was sollte das mit Raven Blackstone? Er
Weitere Kostenlose Bücher