Angriff auf die Freiheit
und »eigentlich« ist da einiges dran, finden Sie nicht auch? Je länger Sie überlegen, desto mehr wirkt eine Welt, in der Sie keiner Bedrohung mehr durch Kriminelle, Leichtsinnige oder auch nur durch Gesundheitsrisiken ausgesetzt wären, wie das Paradies auf Erden. Dafür wären Sie durchaus bereit, den Preis allumfassender staatlicher Kontrolle zu bezahlen.
Sind Sie sicher?
Nehmen wir einmal an, Verbrechen könnten tatsächlich mit Hilfe von Überwachung und anderen präventiven Maßnahmen des Staates flächendeckend unterbunden werden. Zuerst würden Terrorismus, Mord und Totschlag abgeschafft. Für eine Weile würden Sie sich erleichtert fühlen, dann fiele Ihnen das organisierte Verbrechen wieder ein, das dem Land schlaflose Nächte bereitete, bevor es vom Terrorismus abgelöst wurde. Drogenkartelle, Mafiafamilien, Schlepperbanden – weg damit. Wenig später würden Sie in der Zeitung lesen, wie viele Vergewaltigungen, Raubüberfälle und schwere Körperverletzungen im Jahr begangen werden. Beängstigend. Unerträglich. Nicht zu vergessen die ausufernde Steuerkriminalität, durch die sich der Staat in seinem Bestand bedroht sieht. Genügend Gründe für weitere, immer weiter reichende Maßnahmen. Und was ist mit Kindesentführungen? Was bedeutet der Diebstahl von 1000 Euro für eine alte Frau, die auf jeden einzelnen Cent angewiesen ist? Kann man seine achtjährige Tochter ruhigen Herzens zur Schule gehen lassen, solange Verkehrssünder mit 80 Sachen durch Wohngebiete rasen? Steuerbetrüger, Diebe, Verkehrsrowdys – alle ausschalten. Wären Sie dann sicher? Vielleicht. Fühlten Sie sich sicherer? Wahrscheinlich nicht.
Bedrohung ist subjektiv und damit relativ. Sie bestimmt sich nicht im Verhältnis zu einem irgendwie meßbaren Gefahrenpotential, sondern anhand der Risiken, die jeder von uns wahrnimmt. In einer zunehmend sichereren Welt richtet sich die Angst auf immer kleinere oder immer unwahrscheinlichere Szenarien. Während etwa die Kriminalität in Deutschland im Bereich schwerer Delikte wie Mord, Totschlag und Vergewaltigung seit Jahren kontinuierlich sinkt, sind die Menschen notorisch vom Gegenteil überzeugt und geben bei Umfragen an, sich immer stärker durch Kapitalverbrechen bedroht zu fühlen. Ähnlich empfand es Donald Rumsfeld, der ehemalige Verteidigungsminister der USA:
»Wir sind heute sicherer vor der Bedrohung durch einen großen Atomkrieg […] und dennoch verwundbarer durch Kofferbomben …«
Großer Atomkrieg versus Kofferbombe: Durch diese Aussage wird klar, daß Sicherheit nichts mit der Größe realer Gefahren zu tun hat. Sicherheit ist keine Tatsache, sondern ein Gefühl. Wer in den letzten Jahren die massenmedialen Hysterien um BSE, Vogelgrippe und natürlich immer wieder Terrorismus mitverfolgt hat, wird nicht auf den Gedanken kommen, daß man die Welt heute als sicherer empfindet als vor hundert Jahren. Dabei standen den Menschen damals zwei Weltkriege bevor, von der Spanischen Grippe, die 25 Millionen Menschen dahinraffte, ganz zu schweigen.
Wenn die Politik also behauptet, »Sicherheit« für die Bürger gewährleisten zu wollen, nährt sie einen gefährlichen Irrtum. »Wir wollen, daß Sie sicher leben!« wirbt die Polizei in U-Bahn-Haltestellen. Aber wann wären Sie denn sicher? Wenn es keine Terroristen mehr gäbe? Oder keine Krankheiten? Wenn Sie das Haus nicht verließen? Wenn Sie monatlich 3000 Euro Staatsrente erhielten? Wenn kein Freund Sie verriete, kein Geliebter Sie verletzte? Oder wenn der Tod endlich abgeschafft würde?
Sicherheit läßt sich nicht herstellen, weil kein Risiko völlig ausgeschaltet werden kann. Im Grunde wissen wir das alle. Aber wir vergessen es augenblicklich, sobald uns Politiker und Journalisten die nächste Horrorvision vor Augen führen. Wir wissen, daß wir nach aller berechenbaren Wahrscheinlichkeit am ehesten beim Putzen des Bads oder im Verkehr eines unnatürlichen Todes sterben werden. Trotzdem bekommen wir keine Gänsehaut beim Anblick unseres Badezimmers oder Autos. Fahrzeughersteller werden nicht von der Polizei überwacht, obwohl es, gemessen an den Todeszahlen, naheliegender wäre, einen »Krieg gegen den internationalen Straßenverkehr« auszurufen.
Es entspricht der Natur des Menschen, vor unwahrscheinlichen Ereignissen mehr Angst zu haben als vor wahrscheinlichen. Wir fürchten uns am meisten vor Dingen, die uns selten bis nie begegnen und die wir deshalb nicht einschätzen können. Das ist wohl gut so. Es gibt eine
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