Angriff auf die Freiheit
mag einen Blick über den Atlantik werfen. Seit Jahrzehnten kommen Veränderungen von Rockmusik bis Rauchverbot aus den Vereinigten Staaten zu uns, und das, wie man auch an der Finanzkrise erkennt, mit wachsendem Tempo. Mit politischen Tendenzen ist das nicht anders. Betrachten wir noch einmal den »feindlichen Kombattanten«, der unter Barack Obama nicht mehr so heißen soll. Unabhängig von Begriffsfragen will auch die neue US-Administration mutmaßliche »Unterstützer« des Terrorismus weltweit nach Kriegsrecht aufgreifen. Das bedeutet, daß ein beliebiger Passagier beim Umsteigen am Flughafen verhaftet werden kann. Man kann ihm die Augen verbinden und Kopfhörer aufsetzen und ihn für Monate oder Jahre in Isolationshaft verschwinden lassen. Gegen ihn dürfen »scharfe Verhörmethoden« eingesetzt werden, zu denen Folterpraktiken wie das »Waterboarding« oder das pausenlose Beschallen einer Zelle mit ohrenbetäubendem Lärm gehören. Für einen »Unterstützer des Terrorismus« gelten die Genfer Konventionen nicht, obwohl doch eigentlich »war on terror« geführt wird. Vielleicht heißt dieser neuartige Krieg »asymmetrisch«, weil der Feind vom gültigen Rechtssystem ausgeschlossen wird, also weder den Status eines Verbrechers noch den eines Kriegers zugestanden bekommt, so daß weder das Strafgesetzbuch noch die Genfer Konventionen für ihn Anwendung finden. Dies führt direkt nach Abu Ghraib und Guantánamo und somit in die Barbarei.
Das ist bedrohlich. Sie glauben, derartiges habe bei uns niemand vor? Die zynische Gegenfrage lautet, wer noch etwas dagegen hätte. Auch bei uns werden die Einführung eines »Feindrechts« sowie die »Rettungsfolter« gegen Terroristen diskutiert. Nicht von Verrückten, sondern von anerkannten Juristen (dazu mehr im 10. Kapitel). Momentan scheint es, als sei nicht das Zünden einer »schmutzigen Bombe«, sondern eher das Ende des Rechtsstaats keine Frage des Ob , sondern eine des Wann .
Anmerkungen zu diesem Kapitel
Viertes Kapitel: Sind Sie sicher?
Es gibt auf diesem Planeten keinen Zustand vollkommener Sicherheit, es sei denn, man wollte den Tod als eine sichere Sache betrachten. »Sicher ist, daß nichts sicher ist. Selbst das nicht«,lautet ein beliebtes Graffito.Leben ist angewandte Unsicherheit. Wir gehen täglich Risiken ein, im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz, im Umgang mit unseren Mitmenschen, beim Verzehr von Nahrungsmitteln. Würden wir unseren Ängsten freien Lauf lassen, wären wir handlungsunfähig. Gerade Tätigkeiten, die wir besonders gern ausführen, weil sie unsere Lebensqualität steigern, sind oft mit einem hohen Risiko behaftet. In unserer Freizeit stürzen wir uns schneebedeckte Abhänge hinab oder springen von Klippen, rasen mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn, verreisen in ungesunde Länder und kriminelle Städte. Der mutigste Kerl von allen ist statistisch gesehen der Heimhandwerker – ein kolossaler Draufgänger in Anbetracht der hohen Wahrscheinlichkeit, sich im eigenen Haushalt zu verletzen oder gar einen tödlichen Unfall zu erleiden. Im Alltag sublimieren wir souverän die Risiken, denen wir uns andauernd aussetzen, und stürzen uns mit Bravour in Gefahren.
Dessen ungeachtet ist »Sicherheit« zu einem Lieblingsschlagwort der politischen Debatte geworden. Jede zweite Maßnahme wird mit dem Hinweis auf unsere »Sicherheit« begründet. Autos sollen auch bei hellem Sonnenschein mit Licht fahren, was die Umwelt und den Geldbeutel belastet und die Kassen der Glühbirnenhersteller klingeln läßt: Sicherheit . Der Nacktscanner am Flughafen soll Röntgenaufnahmen von Quadratschädeln und krummen Beinen machen: Sicherheit . Hunde an die Leine, Raucher vor die Tür, Computerspiele auf den Index: Sicherheit. Der vermeintlich abgesicherte Bürger ist der regulierte Bürger.
Zu diesem Zweck will der Staat möglichst viel über seine Bürger wissen, um sie wirksam gegen alle erdenklichen Bedrohungen schützen zu können. Warum auch nicht? Wenn man eine Weile darüber nachdenkt, kommt man dann nicht unweigerlich zu dem Schluß, daß gerade die umfassende Informiertheit der Behörden uns davor schützt, Opfer eines Polizei- oder Justizirrtums zu werden? Denn ein Staat, der alles weiß, wird doch nicht versehentlich einen Unschuldigen belangen. Also die Guten ins Kröpfchen (sie haben nichts zu befürchten), die Schlechten ins Töpfchen (die Freiheitsrechte sollen schließlich keine kriminellen Absichten begünstigen).
»Mal so betrachtet«
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