Angriff auf die Freiheit
Videoüberwachung, den Nacktscannern etc.) alle Bürger davon betroffen sind. Per Trugschluß wird Ihnen die Einschränkung Ihrer Rechte schmackhaft gemacht: Es sind eben nicht »Ihre« Rechte, die beschnitten werden, sondern »nur« jene der »Terroristen«. Und bekanntlich erträgt man die Not der anderen mit großer Geduld.
Die Unterscheidung zwischen Bürger und Terrorist hat also rhetorische und praktische Gründe. Der Kreis der Verdächtigen muß sowohl im politischen Sicherheitsdiskurs als auch für die tägliche Polizeiarbeit eingegrenzt werden. Weil dies im präventiven Bereich nicht durch Ermittlungen in die Vergangenheit erfolgen kann, kommen die Mechanismen der Selektion zum Tragen. Während die Strafverfolgung in einem konkreten Fall einen deutschen, christlichen Mörder gleichermaßen betreffen würde wie einen Mörder islamischen Glaubens und pakistanischer Herkunft, gerät im Rahmen von Präventionsstrategien letzterer mit erheblich höherer Wahrscheinlichkeit ins Blickfeld der Ermittler. Es geht um Milieus, um Szenen, um Religionszugehörigkeiten, Lebensgewohnheiten, um (mit den Worten des hessischen Innenministers) »islamistisches Potential«. In den Äußerungen von Sicherheitsexperten werden Sie eine ganze Reihe von Begriffen finden, die Zielpersonen des Anti-Terror-Kampfes auf diese Weise beschreiben. Man redet uns immer wieder aufs neue ein, der Gegner sei eine klar umrissene Gruppe: Terroristen, Islamisten, Dschihadisten, al-Qaida, Gefährder, Glaubenskrieger und so weiter und so fort.
Diese sprachliche Distanzierung und die damit verbundenen Irrtümer funktionieren besonders gut, weil die »Gefährder« in der Vorstellung von Öffentlichkeit und Politik nicht an erster Stelle durch ihre Gewaltbereitschaft, sondern durch ihre Religion und Herkunft gekennzeichnet sind. Ein »islamistischer Terrorist« hat schwarze Haare und dunkle Haut, er spricht Arabisch und kommt aus dem Nahen Osten. Anders als RAF-Terroristen oder der Oklahoma-Bomber entstammt er nicht »der Mitte der Gesellschaft«. Er steht am Rand, mischt sich unter die anderen Einwanderer, jene sozial schwachen, schlecht integrierten und deshalb irgendwie problematischen ausländischen Mitbürger. Doch dann kommt ein Konvertit daher, der durch seine Existenz alles in Frage stellt – es stellt sich etwa heraus, daß zwei von drei Mitgliedern der »Sauerland-Gruppe« zum Islam konvertierte Deutsche waren. Und schon verwischen die Definitionen und Eingrenzungen. Die zweite Perspektive löst sich in der ersten auf.
Hier tritt ein Grundproblem der Terrorismusbekämpfung zutage. Sicherheitsstrategien, die auf Prävention statt auf Strafverfolgung gerichtet sind, leiden an einem Geburtsfehler: Sie sind ihrem Wesen nach schwer mit rechtsstaatlichen Prinzipien wie der Unschuldsvermutung, dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder den Diskriminierungsverboten vereinbar.
Juristisch gesehen folgt daraus, daß neue Sicherheitsgesetze, die im Geiste der Prävention ausgearbeitet werden, häufig mit der Verfassung kollidieren (solange diese noch von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe verteidigt wird). Maßnahmen, die nicht der Verfolgung eines Verdachts, sondern der Verdachtsgewinnung dienen, sind entweder flächendeckend (und damit unverhältnismäßig) – oder nutzlos. Prävention verlangt abstrakte Informationsgewinnung. Unsere Verfassung verlangt, daß Unschuldige nicht oder möglichst wenig von staatlichen Eingriffen in Mitleidenschaft gezogen werden. Je schmerzlicher der Eingriff in bürgerliche Freiheiten, desto konkreter muß der entsprechende Grund sein. Schwere Eingriffe wie Hausdurchsuchungen, Lauschangriffe, das Abhören von Telephonen oder gar die Verhaftung von Verdächtigen waren deshalb traditionell nur im Bereich der Strafverfolgung zulässig. Leichtere Eingriffe, die der Polizei auch zu präventiven Zwecken zur Verfügung stehen, waren außerhalb der Terrorismusbekämpfung nur beim Vorliegen einer konkreten Gefahr erlaubt. Um das Wesen einer solchen konkreten Gefahr klarzumachen, benutzen Juradozenten ein plakatives Beispiel: Sollte jemand mit einem Löwen an der Leine am Samstagnachmittag durch eine belebte Innenstadt spazieren, läge erst einmal nur eine abstrakte Gefahr vor, die der Polizei begrenzte Kompetenzen gibt, etwa den Löwenbesitzer zu fragen, ob das Tier gefährlich ist. Erst wenn der Löwe sich von der Leine befreit, sich offensichtlich aggressiv verhält oder gar angreift, liegt eine konkrete Gefahr vor, die es der
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