Angriff auf die Freiheit
öffentlichen Plätzen zu verdrängen. Auch österreichische Untersuchungen zeigen die Wirkungslosigkeit der Videoüberwachung auf: Dort hat die Zahl der Banküberfälle zwischen 2001 und 2006 trotz hundertprozentiger Videopräsenz um sage und schreibe 76 Prozent zugenommen.
Aber dienen die Kameras nicht der Aufklärung von Straftaten, wie regelmäßig behauptet wird? Trotz der weltweit umfangreichsten Videoüberwachung wurden in London bislang nur drei Prozent der Fälle, bei denen es Aufzeichnungen gibt, dank der allgegenwärtigen visuellen Kontrolle gelöst. Kein Wunder, daß der Leiter der zuständigen Abteilung beim Scotland Yard die CCTV als »totales Fiasko« bewertet.
Auch bei vermeintlichen Erfolgen erweisen sich Kameras als unzuverlässig, wie jener Hausmeister bestätigen kann, der als Bankräuber verurteilt wurde, nachdem eine Überwachungskamera ihn eindeutig identifiziert hatte. Er saß seine Strafe bis zum letzten Tag ab; nach seiner Entlassung wurde die Tat von dem wirklichen Täter gestanden – acht Jahre Haft, weil er einem Bankräuber ähnelte.
Dessen ungeachtet verkündete der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer im Dezember 2007 nach einem brutalen Überfall auf einen Rentner:
»Wer Videoüberwachung (…) in Frage stellt, macht unsere Gesellschaft ein Stück weit unmenschlicher . «
Folgt man der Argumentation des Polizeipräsidenten, wäre der absolute Überwachungsstaat also der menschlichste. Darüber hinaus zeigt sich wieder einmal der kreative Umgang mit den Fakten: Das Verbrechen an dem Rentner war zwar von Kameras gefilmt, aber weder verhindert noch aufgeklärt worden. Die Spur zu den Tätern führte über ein gestohlenes Handy. Trotzdem halten sich die Sicherheitsbehörden anscheinend an einen widersinnigen Grundsatz: Selbst wenn Videoüberwachung versagt oder sich als ineffizient erweist, brauchen wir mehr.
Was das alles mit Kriminalitätsbekämpfung oder gar Terrorabwehr zu tun haben soll, bleibt ein Geheimnis der Sicherheitspolitiker. Warum sollte sich ein Terrorist denn von Kameras abschrecken lassen? Einen Selbstmordattentäter dürfte es wenig interessieren, ob sein Bild später in irgendeiner Datensammlung zu finden ist. Die Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn im Juli 2005 fanden vor den Augen unzähliger Kameras statt. Auch der vielzitierte »Fahndungserfolg« im Fall des »Kofferbombers« aus Köln beweist keineswegs die Tauglichkeit von Kameras zum Schutz vor Terroristen. In Köln wurde zum einen kein Terroranschlag verhindert – der Anschlag scheiterte aus technischen Gründen. Zum anderen wurde der mutmaßliche Täter aufgrund traditioneller Ermittlungsmethoden gefaßt (durch einen Tip des libanesischen Geheimdienstes). Und im Fall des Brasilianers Jean Charles de Menezes, den englische Polizisten in der U-Bahn erschossen, weil sie ihn für einen Terroristen hielten, zeigen die Überwachungsbilder vor allem, daß sich das unschuldige Opfer – entgegen der Aussage der Beamten – keineswegs verdächtig verhalten hatte.
Die Lust an der Videoüberwachung regte sich übrigens schon lange vor dem 11. September 2001. Die CCTV hat bereits in einem Zeitraum weite Verwendung gefunden, als die Zahl der Verbrechen kontinuierlich im Abnehmen begriffen war. So absurd es auch klingen mag: Die Überwachungskameras wurden vor allem deswegen eingeführt, weil das technisch und politisch möglich war. Und weil natürlich eine ganze Industrie gewaltige Summen mit der Entwicklung und dem Verkauf von Sicherheitstechnologien umsetzt.
An dieser (keineswegs abschließenden) Liste von Beispielen zeigt sich ein hanebüchener Trend. Vorangetrieben durch die Medien, verlangen populistische Politiker immer neue Sicherheitsgesetze, die im Vorfeld weder juristisch noch sachlich ausreichend geprüft und im nachhinein nicht fach- und sachgerecht bewertet werden. Der Versuch, die Grenzen des Zulässigen mit aller Macht zu erweitern, verwandelt das Bundesverfassungsgericht in einen Teilnehmer am Gesetzgebungsverfahren. Außerhalb von Karlsruhe bleiben sachliche Mängel unbeachtet, die politische Frage nach dem Nutzen der Instrumente weitgehend ungestellt.
Aus Sicht der Machtausübenden gibt es keine nutzlosen Kompetenzen; eine freiwillige Rückgabe von Befugnissen kommt systemlogisch nicht in Betracht. Deshalb hat es keinen Sinn, auf die »guten« Absichten unserer demokratisch legitimierten Staatsgewalt zu vertrauen. Absichten können sich jederzeit und von Fall zu Fall ändern;
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