Angriff auf die Freiheit
Selbstmordattentaten keinen Sinn – man kann den Täter nicht einsperren, wenn er nach »erfolgreicher« Tat nicht mehr am Leben ist. Zum anderen kommt terroristischen Verbrechen im Vergleich zu »gewöhnlichen« Straftaten eine besondere Qualität zu. Sie zielen nicht nur auf Einzelpersonen, sondern in ihrem symbolischen Gehalt auf eine bestimmte Gesellschaftsform oder den westlichen Lifestyle. Deshalb richten sich enorme Anstrengungen darauf, solche Vorfälle gar nicht erst geschehen zu lassen. Die Prävention erlangt politische Bedeutung – viel mehr als bei anderen Gewaltverbrechen, deren Opfer genauso dramatisch betroffen sein können. Entgegen allen Behauptungen verteidigt der Staat im Anti-Terror-Kampf nicht die Bürger gegen ein zu befürchtendes Unglück. Er verteidigt sich selbst – gegen die Bürger.
Unsinn, hören wir Sie rufen, doch nicht gegen Bürger , sondern gegen Terroristen !
Gerade diese Unterscheidung ist gefährlicher als sämtliche Terrorzellen zusammengenommen. Denn vor den Prinzipien der Strafverfolgung sollten alle Menschen gleich sein, und das bedeutet: unschuldig.
Halt, sagen Sie, ein Mensch, der ein Verbrechen plant, kann doch nicht als unschuldig gelten!
Doch. Es ist nicht strafbar, an ein Verbrechen zu denken. Es ist nicht einmal strafbar, sich zu überlegen, wie man es am liebsten begehen würde. Sie können sogar Vorbereitungen treffen – solange Sie nicht versuchen, es auszuführen. Nur in besonderen Fällen gibt es eine Strafbarkeit, die schon im Vorfeld der eigentlichen Tat eingreift, zum Beispiel, wenn sich Täter zu einem schweren Verbrechen verabreden oder wenn jemand einer terroristischen Vereinigung beitritt. Diese Tatbestände sind klar umgrenzt und gesetzlich geregelt, und auch sie knüpfen an Handlungen an, nicht an bloße Ideen oder Pläne. Denn die Gedanken des Menschen sind frei und müssen es bleiben. Jeder von uns soll an seinen Taten gemessen werden, nicht an seinen Phantasien. Im Rechtsstaat existiert keine Pre-Crime -Behörde, die Sie haftbar machen könnte für Handlungen, die Sie vielleicht in der Zukunft begehen werden.
Wer nun aber präventiv denkt, hat die Wahl, entweder alle Menschen als potentiell gefährlich einzustufen und sie entsprechend zu behandeln (Kontrolle, Überwachung, Generalverdacht). Oder er unterteilt die Menschen in (gute) Bürger und (böse) Terroristen. In der Praxis verbinden sich die beiden Betrachtungsweisen zu einem Gesamtkonzept. Prävention beschäftigt sich mit der Zukunft, und diese hält – das ist das Wesen der menschlichen Existenz – eine unendliche Vielzahl möglicher Abläufe mit unendlich vielen möglichen Beteiligten bereit. Je weitwinkliger man in die Zukunft zu blicken versucht, desto mehr gilt: Alles kann passieren, jeder ist verdächtig. An die Unschuld eines Menschen zu glauben hieße dann, das zukünftige Böse zu unterschätzen. Ein solches präventives Sicherheitsdenken sieht sich in Deutschland nicht einzelnen möglichen Tätern gegenüber, sondern 82 Millionen Verdächtigen.
Ein volles Bekenntnis zu dieser Sichtweise ist aus politisch-moralischen Gründen (noch?) nicht möglich und praktisch (noch?) nicht umsetzbar (in den USA steht allerdings schon eine Million Menschen auf der Liste der Terrorverdächtigen; monatlich kommen 20.000 Personen hinzu). Deshalb muß der Kreis der Vorverurteilten eingegrenzt werden, wofür sich die zweite Betrachtungsweise eignet: Verdächtig sind nicht alle, sondern »die Terroristen«.
Sind Sie noch in der Lage, sich einen Bürger und einen Terroristen als ein und dieselbe Person vorzustellen? Oder werden Sie das Gefühl nicht los, daß Terroristen irgendwie »anders« sind, daß sie außerhalb der Gesellschaft stehen, nicht mit denselben Maßstäben gemessen werden können wie »normale« Menschen? Schaffen Sie es, »Bürger« und »Terrorist« zu denken und sich dabei einen bestimmten Menschen vor Augen zu rufen? Wenn nicht, zeigt die Propaganda der vergangenen Jahre bereits fatale Wirkung.
Für die Akzeptanz der aktuellen Sicherheitspolitik ist es entscheidend, daß Sie den »Terroristen« als eine eigene Spezies betrachten, die sich von Ihnen selbst grundsätzlich unterscheidet. Der »Terrorist« muß entmenschlicht werden. Nur dann kann Ihnen suggeriert werden, eine Sicherheitsmaßnahme sei allein gegen »Terroristen« gerichtet, selbst wenn ganz offensichtlich (wie bei der Vorratsdatenspeicherung, der Fluggastdatenspeicherung, den Fingerabdruck-Pässen, der
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