Angriff auf die Freiheit
auch außerhalb des Prinzips »Guantánamo«, mit dem hierzulande Bundesinnenminister Schäuble sympathisiert (»Diejenigen, die sagen, Guantánamo ist nicht die richtige Lösung, müssen dann bereit sein, darüber nachzudenken, was die bessere Lösung ist«). Nachdem die New York Times offenlegte, daß Präsident Bush die NSA mit dem Anzapfen von Telephonen amerikanischer Bürger ohne richterliche Verfügung beauftragt hatte, verfügte die amerikanische Regierung im Handumdrehen, das ganze Programm sei Staatsgeheimnis und alle Klagen dagegen müßten abgewiesen werden wegen des Rechts der Exekutive auf Vertraulichkeit. Ähnlich verfuhren die amerikanischen Gerichte mit der Klage des deutschen Staatsbürgers Khaled al-Masri, der auf einer Geschäftsreise nach Mazedonien von amerikanischen Agenten entführt, nach Afghanistan verschleppt und dort gefoltert wurde, bis man ihn irgendwo in Albanien aussetzte, nachdem die Agenten feststellt hatten, daß sie den Falschen erwischt hatten. Wiederum argumentierte die Regierung, ein Gerichtsverfahren sei wegen des Schutzes von Geheiminformationen nicht möglich. Der Oberste Gerichtshof hielt es nicht einmal für nötig zu prüfen, ob staatliche Geheimhaltung über den Grund- und Menschenrechten stehe – womit er diese Frage natürlich indirekt beantwortete.
Das Problem von Sicherheitspolitik besteht nicht darin, daß das menschliche Verhältnis zur Sicherheit irrational ist. Ein Problem haben wir erst, wenn sich Politiker diese Irrationalität zunutze machen. Auch in der Politik gilt Angst sell s. Das Geschäft mit der Verunsicherung ist fester Bestandteil des Aufmerksamkeits- und Profilierungszirkus. Zudem ist Angst bekanntlich ein bewährtes Instrument der Machtausübung. Da einer demokratischen Regierung Terror als Mittel der Politik nicht zur Verfügung steht, bedient sie sich eben am »Terrorismus« anderer.
Innenminister Schäuble ignoriert – wie auch sein Vorgänger – das schwierige Balanceverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit. Erst Sicherheit ermögliche Freiheit, sagt der Minister mit der ganzen Würde seines Amtes und beweist damit, wes Untertanengeistes Kind er ist. Wie schäbig sind solche Aussagen, verglichen mit der Beschwörung eines Politikers von anderem Format, der Verantwortung in erheblich düstereren Zeiten übernahm:
»Lassen Sie mich meine feste Überzeugung kundtun, daß die einzige Sache, die wir zu fürchten haben, die Furcht selbst ist – namenloser, unbedachter, ungerechtfertigter Schrecken […].«
So sprach Franklin D. Roosevelt bei seinem Amtsantritt. Heutzutage bleibt jeder, der seine Ansichten nicht auf Verunsicherung, sondern auf den festen Glauben an die Erfolgsgeschichte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat stützen will, politisch obdachlos. Es wird Zeit für eine neue Generation von Politikern, die sich rückgratstark zu den Grundsätzen persönlicher Freiheit bekennt. Die den dringend benötigten Schutz der Privatsphäre (der von allen Datenschützern, unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit, gefordert wird) vorantreibt, statt darüber nachzudenken, wie man den Selbstschutz des Bürgers (etwa durch Datensicherungsprogramme wie TOR oder PGP) verbieten könnte. Ein Politiker muß sich daran messen lassen, ob er der Vernunft das Wort redet oder Schrecken verbreitet.
Anmerkungen zu diesem Kapitel
Zehntes Kapitel: Vernichtet den Feind
Ein Terrorist hat eine Bombe in ein Flugzeug geschmuggelt. Die Bombe liegt auf seinen Knien und tickt vor sich hin. Sie ist durch einen 14stelligen Code gesichert, den nur der Terrorist kennt. Das Flugzeug befindet sich über dem Himalaja, eine Notlandung ist ausgeschlossen. Gleich wird es explodieren, alle Passagiere müssen sterben. Zufällig ist auch ein Polizist an Bord. Er fordert den Terroristen auf, die Codenummer zu nennen. Der Terrorist weigert sich. Daraufhin verprügelt der Polizist den Terroristen. Dieser will nicht weiter geschlagen werden und gibt den Code heraus. Das Flugzeug und alle Passagiere sind gerettet.
Dies ist nicht der Plot des schlechtesten Hollywood-Films aller Zeiten und auch kein absurder Witz ohne Pointe. Dies ist das Szenario, mit dem angesehene Rechtsprofessoren begründen, warum Folter in bestimmten Situationen nicht nur erlaubt, sondern geboten sein soll.
Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beauftragte US-Vizepräsident Cheney ganze Kohorten von Rechtswissenschaftlern, in völliger Geheimhaltung juristische Rechtfertigungen für eine
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