Angriff auf die Freiheit
Vorstellung, daß Internet so etwas Ähnliches sei wie ne moderne Telephonanlage, das stimmt eben lange nicht mehr, und deswegen braucht man da… Wenn Sie wollen, kann das der Herr Fromm genauer erläutern, der versteht’s ein wenig, richtig verstehen tut er’s wahrscheinlich auch nicht, denn das wär ja gar nicht gut (Gelächter unter den versammelten Journalisten), wenn der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ein Online-Experte wäre.«
Es gibt unzählige weitere Zitate, in denen Herr Schäuble betont, daß weder er noch seine Mitstreiter im Kampf gegen den Terrorismus begreifen, welche Instrumente sie eigentlich fordern.
Solche Unwissenheit öffnet das Feld für bodenlose Behauptungen, Wirklichkeitsverdrehungen, propagandistische Irreführungen. Ein Beispiel dafür sind die »Argumentationen« des BKA-Präsidenten Jörg Ziercke, der oft und gern auf Podien und in Mikrophone spricht. Auf eine Frage zum Thema Online-Durchsuchung antwortet Ziercke:
»Wir müssen mit dem technischen Fortschritt Schritt halten können, wenn skrupellose Kriminelle ins Internet ausweichen und dort ihre Anschlagsplanung, ihre kriminelle Handlung vorbereiten.«
Wer hier ausweicht, ist vor allem Ziercke, denn die Online-Durchsuchung, also die polizeiliche Überprüfung privater Festplatten, hat mit dem »Internet« überhaupt nichts zu tun. Aber im Zierckeschen Allerlei sind Festplatte, E-Mail, Internet ein und dasselbe. Überhaupt, das Internet! Immer wieder wird es zu einem Reich des Bösen stilisiert, das es generell zu bekämpfen gilt. Laut Ziercke findet man im Internet »Bombenbauanleitungen, Aufträge für die Durchführung von Anschlägen, die Rekrutierung junger Menschen zum Dschihad«, da das Internet »das entscheidende Kommunikationsmittel des internationalen Terrorismus« sei. Als würden alle außer Osama Bin Laden Brieftauben züchten! Zum Erstaunen von Ziercke arbeitet »die Szene« nicht etwa offen an ihren finsteren Plänen, sondern »konspirativ« und »verdeckt«, »sie verschlüsselt, anonymisiert«. Unklar bleibt, woher Ziercke von »Anschlagsplanungen« und »Aufträgen« weiß, wenn alles verschlüsselt und anonymisiert ist. Oder, anders gefragt: Wofür braucht er die Online-Durchsuchung, wenn er jetzt schon nachgucken kann, was die Terroristen im Netz so treiben? Jedenfalls, erkennt Ziercke, sei das Internet »das Tatmittel der Zukunft. Es ist es jetzt schon, im Grunde«.
Was in etwa so viel Sinn ergibt, als würde man die Gefährlichkeit des Waldes beschwören, weil man aus Holz Speere zimmern kann.
Nach dieser Argumentation fordert die generelle Gefährlichkeit des Internets allgemeine Gegenmittel. Im düsteren Wald muß den Behörden alles erlaubt sein (»Unter Online-Durchsuchung wird Verschiedenes verstanden, das ist klar«, Wolfgang Schäuble). Zum Beispiel auch die bei uns eigentlich abgeschaffte Zensur: Das Bundeskriminalamt (BKA) bereitet derzeit einen Vertrag vor, der Internet-Service-Provider (ISPs) verpflichten soll, ihren Kunden den Zugang zu bestimmten Webseiten zu verwehren. Welche Webseiten das sind, steht auf einer geheimen und somit nicht rechtsmittelfähigen Liste von Domains.
Für den Fall, daß nicht jeder auf die Bedrohung durch den »internationalen Terrorismus« anspringt, serviert Ziercke gleich im Anschluß ein reichhaltiges Büffet an Schlagwörtern, an dem sich jeder nach Belieben bedienen möge. Das Internet sei zu allem Überfluß eine Oase für »Kinderpornographie«, »rechtsextremistische Propaganda«, »Wirtschaftskriminalität«, »Menschenhandel« und »Frauenhandel«. Alle unsere moralischen Empfindlichkeiten sollen angesprochen werden: der Schutz von Kindern und Frauen, der Kampf gegen Sklaverei und Faschismus. Wer konkrete Angaben oder gar Beweise fordert, der verharmlost die Gefahr, der unterscheidet sich kaum noch vom Mittäter. Laut Ziercke bemerkt die Öffentlichkeit »die dramatische Entwicklung im Internet gar nicht so richtig«. Wohl wahr: Manch einer geht einfach so im Wald spazieren, bildet und vergnügt sich. Wie naiv und verantwortungslos ist das?
Rhetorische Paradoxien, offensichtliche Scheinargumentationen und argumentative Widersprüche wären wohl nicht möglich, wenn sie nicht von einer entsprechenden Grundüberzeugung zusammengehalten würden. Niemand hat diese so brillant auf den Punkt gebracht wie Bundeskanzlerin Angela Merkel:
»Eigentlich läuft alles ganz prima, aber trotzdem brauchen wir mehr Überwachung.«
Diesen Satz sollte
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