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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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alles wissen. Weil es auf Erden kein gottgleiches Wissen gibt, soll auch keine gottgleiche Macht über Leben und Tod existieren. Deshalb definiert unsere Rechtsordnung einen geschützten Bereich, den wir »Würde« nennen. Niemand (das heißt: auch kein »Terrorist«!) darf zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden. Körper und Leben dürfen nicht Mittel zu einem wie immer gearteten Zweck sein. Schon die Konstruktion von Beispielsfällen, die Werturteile als Tatsachen verkaufen, bricht mit diesen Grundsätzen.

    Um so wichtiger ist es, bei solchen Szenarien nicht auf das erste Gefühl zu vertrauen, sondern den Kopf einzuschalten. Denn das Gefühl reagiert auf bestimmte Muster, die Rechtsprofessoren wie Merkel gezielt einsetzen. Unser Gerechtigkeitsgefühl gesteht Menschen in einer bedrohten Lage ein Selbstverteidigungsrecht zu, juristisch »Notwehr« (wenn man sich selbst wehrt) oder »Nothilfe« (wenn man anderen beisteht) genannt. Merkel und Günther argumentieren ausdrücklich mit dem Notwehrrecht, das man dem folternden Polizisten im Bombenflugzeug nicht vorenthalten dürfe. Auf den ersten Blick erscheint das richtig. Aber auch nur auf den ersten Blick. Es gib nämlich einen Unterschied zwischen einem Menschen, der sich in einer Notlage wehrt, und dem Staat, der das Gewaltmonopol innehat. Eine Frau, die nachts in einer Unterführung ausgeraubt wird, befindet sich nicht in der gleichen Situation wie die Bundesrepublik Deutschland, wenn Selbstmordattentäter innerhalb ihrer Grenzen unterwegs sind. Als Privatperson darf der Polizist wie jeder andere Bürger unter extremen und demnach seltenen Umständen möglicherweise einen Angreifer foltern, um sich und andere zu retten. Als staatliches Organ darf er das nicht. Dies ist nicht paradox, sondern logisch und unvermeidbar, wenn man an demokratischen Grundsätzen festhalten will. Ein Privatmann ist nicht wie der Staat an die Menschenwürde, an Verhältnismäßigkeit oder Unschuldsvermutung gebunden. In einer Notwehrsituation wird ihm als seltene und schwerwiegende Ausnahme zugestanden, in panischer Selbstverteidigung um sich zu schlagen. Doch ein Staat, der panisch um sich schlägt, richtet Verheerendes an. Er ist keine Demokratie, sondern ein Staat des Ausnahmezustands.
    Ein Staat in Selbstverteidigung entledigt sich mißliebiger Gegner, indem er sie liquidieren läßt, so geschehen etwa zwischen dem 30. Juni und dem 2. Juli 1934, als Adolf Hitler die gesamte SA-Führung inklusive ihres Anführers Ernst Röhm erschießen ließ. In diesem Zusammenhang tauchte der notwehrübende Staat schon einmal auf: Carl Schmitt rechtfertigte den kaltblütigen Mord umgehend als »Staatsnotwehr«.
    Der Rekurs auf die Nazizeit ist keineswegs weit hergeholt: Der in den dreißiger Jahren einflußreiche Carl Schmitt wird heute von Sicherheitstheoretikern wieder aus der Mottenkiste geholt und salonfähig gemacht. Damals leistete Schmitt der nationalsozialistischen Rassenlehre publizistisch-juristische Schützenhilfe; heute steht er Pate für das Nachdenken von Rechtsprofessoren über den Anti-Terror-Kampf. Auf Schmitts Spuren wird wieder verlangt, im politischen wie im rechtlichen Sinne eine klare Linie zwischen »Freund« und »Feind« zu ziehen.
    Einer der eifrigsten Schmitt-Jünger ist gegenwärtig Otto Depenheuer, Staatsrechtsprofessor in Köln. Die Lust am Ausnahmezustand verführt ihn dazu, demokratische Grundsätze als bloße »Drapierungen« zu bezeichnen, die in Friedenszeiten den Leib des wehrhaften Staates verkleiden. Um den Begriff »Wehrhaftigkeit zu vermeiden, spricht Depenheuer euphemistisch von der »Selbstbehauptung des Rechtsstaates« – so der Titel seines einschlägigen Buchs. Den darin enthaltenen Thesen liegt das Bestreben zugrunde, den islamistischen Feind aus der Rechtsordnung herauszulösen und als Sonderfall, als Unperson, mit anderen Worten: als Vogelfreien zu behandeln. Staatstheoretisch sei es möglich, den Feind des Rechtsstaates durch die Rechtsordnung auch als Feind zu qualifizieren und ihn damit außerhalb des Rechts zu stellen. Der Feind habe dann keinen Anspruch mehr, nach Maßgabe der Rechtsordnung behandelt zu werden. Wie wir bereits gesehen haben, liege darin letztlich eine Anerkennung der terroristischen Würde: Einen waschechten Terroristen muß es ja geradezu beleidigen, wenn man ihn fragt, ob er mit seinem Anwalt telephonieren will. Oder, wie der emeritierte Staatsrechtsprofessor Gert Roellecke es ausdrückt: »Feinde bestraft man nicht.

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