Angriff auf die Freiheit
Ausweitung der Regierungsmacht auszuarbeiten. Als Resultat durften zum erstenmal in der Geschichte der USA Häftlinge psychisch und physisch gefoltert werden. »Terrorverdächtige« wurden entführt und ohne Erhebung einer Anklage auf unbestimmte Zeit festgehalten (nicht nur in Guantánamo), ohne Kontakt zu ihren Familien, Rechtsanwälten oder internationalen Organisationen wie dem Roten Kreuz.
Das ist nur in Amerika so, meinen Sie vielleicht, und man kann ja hoffen, daß es Barack Obama in Zukunft schon richten wird, auch wenn es mit seiner Absicht, die illegalen Gefangenenlager zu schließen, nun doch nicht mehr ganz so weit her zu sein scheint wie im Wahlkampf. Die Rechtsanwälte der neuen Regierung haben im März 2009 vor Gericht die Autorität des Präsidenten verteidigt, »Personen festzuhalten, (…) die Taliban oder al-Qaida unterstützt haben«. Die Haltung, schreibt die New York Times , unterscheide sich kaum von jener der Bush-Regierung. Was aber würden Sie sagen, wenn dieses Denken längst über den Atlantik geschwappt wäre und bei uns ausgerechnet jene Menschen infiziert hätte, die in theoretischer und praktischer Hinsicht für den Erhalt von Rechtsstaatlichkeit zuständig sein sollten – nämlich die Juristen?
Kehren wir zurück zu Polizist, Terrorist und Bombe im Flugzeug. Was gibt es da groß zu überlegen? Schon sausen die Fäuste auf den Stammtisch nieder: Natürlich! Der Polizist soll das Schwein zusammenhauen, er soll den Code aus ihm herausprügeln! Er muß ihn foltern, um unschuldige Menschen zu retten!
Wenn hundert unschuldige Menschen bedroht sind, darunter natürlich einige Frauen und Kinder, können Sie sicher sein, daß haarsträubende Argumentationen folgen werden, die alle Grundsätze des Rechtsstaates auf den Kopf stellen. »Hundert unschuldige Menschen« sind der Schlüsselreiz, mit dessen Hilfe am Verstand vorbei auf das Bauchgefühl gezielt wird. Zum Beispiel von Reinhard Merkel, Strafrechtsprofessor in Hamburg. Er vertritt die Meinung, daß ein Staat, der trotz einer Bedrohung nicht foltert, zum Gehilfen an einem Massenmord werde. Im Grunde hat Professor Merkel nicht einmal ein moralisches Problem mit der Folter, weil es seiner Meinung nach gar nicht der Polizist sei, der in diesem Fall gewalttätig wird, sondern der Terrorist selbst. Ja, lieber Leser, Sie haben richtig verstanden: Eigentlich foltert der Terrorist sich selbst, denn durch das Legen der Bombe hat er die Folter herausgefordert und muß sie sich deshalb zurechnen lassen. Wenden Sie diese Argumentation auf den Straßenverkehr an, dann können Sie frei von Gewissensbissen ein Auto rammen, das gerade bei Rot über die Kreuzung fährt. Es ist dann das fremde Auto, das sich selbst rammt, weil sein Fahrer den Unfall durch sein Fehlverhalten herausgefordert hat.
Merkels Frankfurter Kollege Klaus Günther dreht die Spirale noch ein absurdes Stück weiter. In Anlehnung an Hegel behauptet er, durch die Folter werde der Terrorist im Grunde als vernünftiges Wesen »geehrt«. Immerhin habe sich der Terrorist freiwillig (und »vernünftig«?) zum Legen der Bombe entschieden. Folter ist also eigentlich eine Form der Höflichkeit, wohl Teil einer Renaissance großbürgerlicher oder gar aristokratischer Umgangsformen. Erlauben Sie bitte, daß wir Ihnen als Zeichen unserer tiefempfundenen Ehrerbietung einige Stromschläge versetzen! Wenn wir Ihnen beim Waterboarding behilflich sein dürften? Aber nicht doch, gern geschehen!
Zu guter Letzt gelangt Reinhard Merkel zu dem Resultat, Deutschland habe der Anti-Folter-Konvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte nicht beitreten dürfen, weil diese völkerrechtlichen Verträge ein absolutes Folterverbot enthalten. Das kritzelt er nicht in Runenschrift in sein geheimes Tagebuch; er publiziert es in einem Artikel in der ZEIT. Warum löst es keinen Skandal aus, wenn Rechtsprofessoren in Deutschland öffentlich fordern, das absolute Folterverbot zu einer Art Folter light aufzuweichen? Warum folgt kein Aufschrei, wenn die Rechtmäßigkeit von internationalen Konventionen bezweifelt wird, die eine Quintessenz unserer zivilisatorischen Errungenschaften verkörpern? Der Grund dafür ist ebenso einfach wie erschreckend: Ein Teil der Werte, zu deren Verteidigung wir ständig aufgerufen werden, ist bereits verlorengegangen. Ein Teil der Gesellschaft hat sich schon in Richtung Barbarei bewegt. Und die Behauptung, daran
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