Angriff auf die Freiheit
darin, daß mehr Mut dazu gehört, angesichts einer schwierigen Lage an seinen Prinzipien festzuhalten, als sofort den eigenen Standpunkt zu räumen und sich vom Gegner Ansichten und Methoden diktieren zu lassen. Simple Freund-Feind-Schemata, die Verachtung der angeblich dekadenten westlichen Lebensform und die Verherrlichung von Wehrhaftigkeit und Märtyrertod weisen erschreckende Parallelen zum Selbstverständnis sogenannter islamistischer Fanatiker auf.
Wenn Ihnen das nächste Mal jemand mit den Worten des einflußreichen kanadischen Menschenrechtsprofessors und Politikers Michael Ignatieff einreden will, man müsse »Böses mit Bösem bekämpfen«, oder wenn es wieder einmal heißt, unsere Polizei dürfe hinter den Methoden gewaltbereiter Terroristen nicht zurückbleiben; wenn Begriffe wie »präventive Selbstverteidigung« fallen oder der Staat ein Recht auf Notwehr bekommen soll, dann fragen Sie sich einfach, welches Gefühl hinter solchen juristischen und politischen Begriffsfinessen kauern mag. Ob das nicht eine bodenlose, irrationale Angst sein muß, die selbst nüchterne Juristen mit der Unmenschlichkeit ihrer Gegner infiziert.
Anmerkungen zu diesem Kapitel
Elftes Kapitel: Wozu das alles? oder: Videoaufnahmen bestätigen die Regel
Bislang ist in Deutschland kein einziger terroristischer Anschlag aufgrund verschärfter Sicherheitsgesetze vereitelt worden. Viele der neu eingeführten Maßnahmen sind zum angegebenen Zweck der Terrorismusbekämpfung erwiesenermaßen ungeeignet. Politiker argumentieren für mehr Überwachung mit falschen Tatsachen und widersprüchlichen Angaben; Juristen versteigen sich in absurden Denkbeispielen, um die Folter wiedereinzuführen; Journalisten agieren ohne kritische Distanz als Propheten einer amorphen Bedrohung. Es herrscht Angst. Angst verkauft Zeitungen, Angst bringt Wählerstimmen, Angst treibt Sicherheitspolitiker zu Höchstleistungen, Angst ist nicht mehr wegzudenken aus Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsprognosen. Die Angst hat ihren vorgeblichen Auslöser, die »terroristische Bedrohung«, weit hinter sich gelassen. Sie steht, wie wir gesehen haben, in keinem rationalen Verhältnis zur aktuellen Sicherheitslage. Seit Ende des Kalten Krieges haben sich die ohnehin vorzüglichen Lebensbedingungen in unseren Breitengraden noch einmal verbessert. Die reale Bedrohung durch die Blockkonfrontation hat sich aufgelöst. Die Kriminalitätsraten sinken. Die Lebenserwartung steigt. Sicherer als bei uns in den letzten zwanzig Jahren haben Menschen auf der ganzen Welt zu keiner Zeit gelebt.
Wozu das alles? Warum jetzt? Warum hat die »terroristische Bedrohung« Hochkonjunktur?
Der »Terrorismus« wirkt wie eine Zauberformel, die leistet, was jede Zauberformel zu leisten hat: Sie lenkt die Aufmerksamkeit des Publikums von dem ab, was wirklich geschieht. Aber was passiert hinter dem Abrakadabra? Warum wird politisch, rechtlich und technisch fieberhaft an der Entwicklung von Systemen gearbeitet, die ganze Gesellschaften kontrollieren sollen? Warum will der Staat plötzlich so dringend von jedem einzelnen Bürger wissen, wo er sich gerade befindet, mit wem er spricht, was er ißt, wofür er sein Geld ausgibt, was für ein Gesicht er macht?
Die Antwort darauf ist vielschichtig und kann trotzdem auf einen Punkt gebracht werden: Zum Ende des letzten Jahrhunderts hat sich mehr verändert, als wir gemeinhin denken. Staat und Gesellschaft befinden sich inmitten einer Nachholbewegung. Sie versuchen, sich hektisch an die veränderten Bedingungen anzupassen. Was wir erleben, ist kein »Krieg gegen den Terror«, sondern eine Reaktion auf das neue politische Zeitalter nach 1989/90 sowie ein gigantischer, weltweiter Verteilungskampf um den Zugriff auf eine neue Ressource: Information.
Das Ende der Blockkonfrontation war das Ende einer vergleichsweise übersichtlichen Weltordnung. Nicht nur geostrategische Einflüsse in der Welt, sondern auch gesellschaftliche Profile waren entlang klarer Linien verteilt. Es gab amerikanische Einflußsphären und russische. Es gab Kapitalisten und Kommunisten. Nicht nur auf der Landkarte, sondern auch in den Köpfen gab es »rechts« und »links« und eine klare, festbetonierte Grenze dazwischen. Seit 1989/90 werden wir nicht müde, einander zu versichern, die Welt sei unübersichtlich geworden. Grenzen lösen sich auf, zwischen Staaten, zwischen politischen Lagern, zwischen Deutungssystemen. Weder die Religion noch die klassische Idee der Familie, noch eine
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