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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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Feinde ehrt und vernichtet man.« Dschingis Khan wäre einverstanden – sicherlich auch mit den Instrumenten, die das Feindrecht nach Meinung seiner Befürworter benötigt: präventive Sicherungsverwahrung, vorsorgliche Internierung von »Gefährdern« und »rechtsstaatlich domestizierte« (sic!) Folter. Und überhaupt: »Wer den Tod will, kann ihn haben« (Otto Schily).
    Falls Ihnen solche libidinösen Allmachtsphantasien unsympathisch sind, hat die Rechtstheorie à la Depenheuer eine passende Antwort für Sie parat: Sie sind ein weltfremder Schwächling. Genauer gesagt: Das Problem liege im Lebensgefühl einer saturierten und hedonistischen Erlebnis- und Spaßgesellschaft – eine Formulierung, die gut aus einer islamistischen Haßtirade gegen den dekadenten Westen stammen könnte (was die These belegt, daß die größte Gefahr eines »Feindes« darin besteht, ihm ähnlich zu werden). Wenn Sie also immer noch an Freiheitsrechte glauben, dann nur, weil Sie einer dieser verblendeten Multikulti-Typen sind, die sich den harten Realitäten nicht stellen wollen. Ihre Lebensfreude ist unser Sicherheitsrisiko. Weil wir einen asymmetrischen Krieg führen, braucht der Staat eine latent präsente Gewaltfähigkeit, ein »Sicherheitsverfassungsrecht«. Der Unterschied zwischen Polizei und Militär soll aufgehoben werden, ebenso wie der zwischen Strafrecht und Kriegsrecht. Im Klartext: Der Staat soll alles dürfen, denn der Terrorist erlaubt sich ja auch alles.
    Fangen Sie angesichts solchen Kriegsgetrommels an, sich für Ihr saturiertes Wohlstandsleben zu schämen? Die Theoretiker des Ausnahmezustands kennen den Ausweg. Um ein standhafter, staatstreuer Kerl zu werden, müssen Sie sich nur innerlich bereit erklären, ein »Bürgeropfer« zu erbringen. Dieses Opfer besteht in Ihrem Leben, welches Sie mit dem Segen von Otto Depenheuer im Krieg gegen den Terrorismus hingeben dürfen.
    Das Bürgeropfer ist gewissermaßen das westliche Pendant zum Selbstmordattentat, jedenfalls was die Bereitschaft anbelangt, die lästigen Fesseln der Zivilisation abzustreifen und wieder zünftig für seinen Wahn zu sterben, wie es die allerlängste Zeit in der Geschichte üblich war. Und das dazugehörende Szenario? Terroristen haben wieder einmal ein Flugzeug entführt (in Fallbeispielen wird am laufenden Band entführt), und dieses Mal sitzen Sie in der Maschine. Durchs Fenster sehen Sie schon die Abfangjäger der Luftwaffe. Sie wissen, in wenigen Sekunden wird der Abschußbefehl erteilt. Wie reagieren Sie? Mit Stolz, bitte schön. Und was sind Ihre letzten Gedanken? »Wie schön, daß ich als Märtyrer im Anti-Terror-Kampf sterben darf.« So wünschen es sich jedenfalls Depenheuer und Konsorten, die sich anscheinend noch nie mit einem Bundeswehrsoldaten im Afghanistan-Einsatz darüber unterhalten haben, wie sich so ein »Bürgeropfer« in der Realität anfühlt. Vielleicht würden danach selbst solche Schreibtischwüteriche wieder zu friedfertigen Wohlstandsbürgern.
    Sie werden sich vielleicht fragen, wieso wir so lange auf den Thesen einiger rabiater Juristen herumreiten. Das hat einen konkreten Grund. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat uns allen das Buch von Otto Depenheuer zur Nachtlektüre empfohlen, denn es verkörpere »den aktuellen Stand der Diskussion«. Derartige Äußerungen offenbaren, wie tief eine Denkweise, die an antibürgerliche, antiliberale und antidemokratische Positionen anknüpft, bereits in den aktuellen Diskurs eingesickert ist.

    Das ist um so bedenklicher, als wir es hierbei keineswegs mit rational erarbeiteten Strategien, sondern mit dem Ergebnis archaischer Virilitätssehnsüchte zu tun haben. Denn den Theorien von Ausnahmezustand, Feindrecht und Wehrhaftigkeit wohnt ein eklatanter Widerspruch inne. Ihre Vertreter gehen allen Ernstes davon aus, den »Terrorismus« mit solchen wehrhaften Muskelspielen unter den professoralen Anzügen einschüchtern zu können. Als würden opferbereite Bürger und ein zähnefletschender Staat weitere Selbstmordanschläge verhindern. Ein Blick auf das totalitäre Saudi-Arabien müßte die staatsrechtlichen Bodybuilder eines Besseren belehren – dort hat es mehr Attentate und Bombenanschläge gegeben als in ganz Westeuropa, obwohl die heimische Polizei unbegrenzt mächtig ist und Feinde des Staates ohne viel Federlesens gehenkt werden.
    Trotzdem wird jeder, der den Vordenkern des Ausnahmezustands nicht folgen will, als Feigling und Duckmäuser denunziert. Der Widerspruch besteht

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