Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)
hat doch Recht: Niemand entkommt seiner gerechten Strafe. »Gnade, Allmächtiger, verzeihe deiner sündigen Dienerin!«
Und sie wäre in wildem Wallen
Von der Leiter fast gefallen
Springt und kobolzt wirr herum
Wirft dabei den Eimer um
Tanzt im heißen Polkaritt
Um die Tische und die Stühle
Knirsch, da reißt der Rock im Schritt!
Nur sie spürt nichts im Gewühle.
Hohe Zeit für Sturmgefühle!
Geht es dem Ende zu? – Die Kartoffel schaukelt und schwitzt. Sie jammert und greint. »Maria, hilf!« Ein letzter Wunsch sei ihr gewährt. Aus wunder Kehle dringt ihr Ruf: »Nach Hause! Nach Polen!! Daheim in Frieden sterben!!!«
Um das Schwanken und Wanken, das sie erfasst, zu verbergen, setzt sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Für wenige Treppenstufen scheint sie Stunden zu brauchen. Schweißgebadet meldet sie sich vom Dienst ab und torkelt trunken, denn auch ein Quantum Kräuterschnaps hatte Stunden zuvor schon in ihr eine durstige Verehrerin gefunden, zum nahen Bahnhof. Die Kartoffel erinnert kaum, wie sie die S-Bahn besteigt, ohne zu kollabieren. Begleitet von hundert himmlischen Musikanten, darunter der Heimatstern Chopin, erreicht sie wohl den Fernbahnhof, wo der Abendzug nach Osten unter Dampf steht. Im weichen Polster des Abteils klappt sie erschöpft zusammen und dreht im Fieber den wildesten Farbfilm ihres Lebens.
Polnische Grenzer rufen sie zur Ordnung zurück. – Sind es die himmlischen Wächter, die sie ansprechen? – Durch eine Nebelwand vernimmt sie Muttersprache. »Danke, HERR!« Sie hat es noch geschafft und ist rechtzeitig zum Sterben heimgekehrt. Stumm stolpert die Kranke durch lichtloses Dunkel.
Ein Tierarzt ist in dunkler Nacht und höchster Not besser als ein Friseur, denkt die Kartoffel, die verzweifelt an die Tür des einzigen Medizinmannes auf weiter Flur pocht. Der öffnet und hilft dem verwirrten Kugelrund ins Behandlungszimmer, das sonst eher vierbeinige Patienten begrüßt. Sie stammelt und stöhnt, ächzt, keucht und gesteht schlussendlich, im wilden Westen gefrorene Kekse genascht zu haben. Uralte Kekse. Überlagerte Kekse. Vergiftete Kekse. Killerkekse!
Der Veterinär ist ratlos aber hilfsbereit. Er schimpft sie eine alte Frau, die dumm genug sei, auf nüchternen Magen gefrorene Kekse zu essen. Dann zieht er die Pferdespritze auf und verpasst ihr eine gute Dosis von dem Beruhigungsmittel, das sonst Zuchtbullen besänftigt. Die Kartoffel bleibt panisch. Ihr Körper schmerzt, die Glieder brennen, der Schädel brummt, der Magen jammert. Endlich lässt sie sich überreden, ihr Nachtlager aufzusuchen und den süßen Schlummer des Vergessens zu finden.
Auf dem heimischen Diwan sinkt sie in Morpheus Arme. Doch gleich setzt dieser Kobold sie wieder in den überfüllten Dampfzug nach Berlin. Dem Teufel von der Schippe gesprungen ist wohl noch keine ihrer Schwestern aus dem pendelnden Putzgeschwader. Farbenfroh schildert ihnen die Kartoffel ihre Abenteuer. Sie malt die Gefahren, in denen sie schwebte, grell aus und tupft zum besseren Verständnis zusätzliche Farbe ins Bild.
Eine Kollegin, wohl dreißig Jahre jünger und mindestens sechzig Kilo leichter als Kartöffelchen, meldet sich zu Wort. Der Stangenspargel steht in Diensten eines allein stehenden Herrn im Südwesten Berlins. Der lagerte ebenfalls steinalte Kekse aus eigener Produktion in seiner Tiefkühltruhe. Und auch der Spargel kennt die Lust auf süßes Naschwerk. Sie kostete vom Gefrorenen und erlebte ebenfalls wundersame Dinge. Alte Kekse aus dem Frost jedenfalls seien wohl das gefährlichste Lebensmittel der westlichen Welt, schlussfolgern Spargel und Kartoffel einvernehmlich.
Die geschundene Knolle jedenfalls hat ihre Lektion gelernt. Sie wird aus Schaden klug. Kekse scheut sie künftig wie der Teufel das Weihwasser. Im Tiefschlaf leistet sie einen heiligen Eid. Nie wieder will sie naschen, nie mehr stibitzen. Sie hebt die matte Hand zum heißen Schwur: Niemals wieder will sie fremder Leute Kekse kosten!
Als Morpheus ihre Schritte in den Berliner Haushalt zum wöchentlichen Reinemachen lenkt, wirkt alles wie gewohnt. Es locken liebevoll drapierte Bonbonnieren mit Konfekt, Ensembles mit Überraschungseiern, eng gedrängte Schaumtiere und verführerischer Pudding. Nur etwas ist anders als sonst:
Im Licht der Sommersonne thront der Hausherr als glücklicher Buddha und knetet Teig, den er mit einer Portion fein gemahlener grüner Kräuter anreichert. Einladend reicht er
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