Angst
Kompliment gedacht gewesen war.
Doch jetzt war sie erschüttert.
Konzentrier dich, Ruth, konzentrier dich, würde Savich ihr in dieser Situation raten.
Okay, also noch mal von vorne: Die Kammer war größer, als die verdammte Schatzkarte angab. Ein weiterer Versuch, sie in die Irre zu führen, genau wie der hundehüttengroße Durchgang, der mit einer Sandsteinplatte verschlossen gewesen war. Na und? Kein Grund, sich aufzuregen. Sie würde aus der Kammer klettern und über alles nachdenken. Welche Strecke hatte sie wohl bereits zurückgelegt? Sicherlich ein ganz schönes Stück. Sie drehte sich um und fuhr das Maßband in Richtung des bogenförmigen Eingangs aus. Natürlich konnte sie die Öffnung nicht sehen, da diese sich außerhalb des Lichtkegels ihrer Stirnlampe befand. Ruth kroch auf dem Metallband entlang, um sich auf jeden Fall in einer geraden Linie fortzubewegen. Als sie das Ende des Maßbands erreichte, fuhr sie es ein zweites Mal um sieben Meter aus. Nichts. Dann noch einmal sieben Meter. Sie schwenkte die Taschenlampe in alle Richtungen. Überhaupt nichts. Sie blickte auf ihren Kompass. Angeblich bewegte sie sich Richtung Nordosten. Nein, das war absurd! Sie kroch nach Westen, genau auf den Durchgang zu.
Der Schein ihrer Taschenlampe sah aus wie ein gespenstischer Lichtstrahl.
Na schön, sie war also ziemlich weit gegangen, aber was half ihr das schon? Und der Kompass war im Eimer. Doch sie hatte auch so oder so schon das Gefühl, gleich verrückt zu werden. Sie stopfte ihn in die Tasche zurück, hob das Maßband auf und fuhr es um weitere sieben Meter aus. Ganz sicher würde sie jeden Moment den Ausgang entdecken. Immerhin hatte sie gut dreißig Meter hinter sich ge-bracht. Jeden Moment würde das metallene Band durch die Öffnung zurück in den Gang gleiten. Sie kroch langsamer. Doch schon als sie das Ende des Maßbands erreicht hatte, zitterte sie.
Schluss damit, bloß keine Hysterie! Sie drückte auf die Rückholfeder, und das metallene Band gab ein blechernes Geräusch von sich, während es sanft eingezogen wurde. Jetzt stand sie dort, das Maßband in der Hand, und hatte Angst, es abermals auszufahren. Hätte es überhaupt einen Sinn?
Aber natürlich, ermahnte sie sich, sie musste es einfach tun. Sie hatte keine andere Wahl. Erneut fuhr sie das Maßband aus, routiniert und schnell. Doch bereits während sie es die vollen sieben Meter auszog, wusste sie tief in ihrem Innern, dass es nirgendwo anstoßen würde. Trotzdem kroch sie verbissen weiter, dann hielt sie inne und blickte sich um. Sie war mitten im Nichts, umgeben von pechschwarzer Dunkelheit, die sie zu erdrücken schien. Nein, nein, Schluss damit!
Sie hatte geglaubt, sich in einer geraden Linie fortbewegt zu haben, doch jetzt war klar, dass sie sich getäuscht haben musste. Das war die einzig logische Erklärung. Sie musste nach links oder rechts ausgeschert sein. Aber müsste das Maßband nicht trotzdem auf eine Wand stoßen? Natürlich müsste es das, aber dennoch bist du nicht in der Nähe einer Wand, oder? Da ist nichts um dich herum.
Während Ruth das vollständig ausgezogene Maßband weit von sich gestreckt hielt, begann sie sich langsam im Kreis zu drehen. Keine Wand, nichts.
Sie hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Ihr Gehirn schien wie ausgetrocknet. Ein heftiger Schwindelan-fall und starke Übelkeit überkamen sie, und sie setzte sich auf den Boden. Das Atmen fiel ihr schwer, und sie spürte, wie eine kalte, quälende Angst sie ergriff, eine Todesangst, die sie schaudern ließ. Ihr Herz pochte wild, der Mund war trocken.
Ich befinde mich mitten im Nichts, dachte sie, und es gibt keinen Ausweg. Ich bin in einem schwarzen Loch gefangen, das größer ist als alles, was ich mir je hätte vorstellen können.
Dieser Gedanke, der ihr Gehirn mit voller Wucht und der grellen Deutlichkeit eines Scheinwerfers traf, erschütterte sie bis ins Mark. Woher war er nur gekommen? Sie schien nicht richtig atmen, ihre Gedanken nicht ordnen zu können. Das alles war lächerlich. Sie musste sich darauf konzentrieren, hier herauszufinden. Es gab eine Lösung, es gab immer einer Lösung. Es war an der Zeit, wieder ihr Gehirn einzuschalten. Also gut: Sie befand sich in einer Höhle und war einfach nur weiter gekrochen, als sie geglaubt hatte. Die verdammte Kammer war viel größer, als auf der Karte abgebildet ...
Dann hörte sie wieder das Geräusch, ein leises Zischen, das von allen Seiten zu kommen schien. Doch sie konnte die Quelle
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