Angst
durchschnitt. Was für eine Närrin sie war! Natürlich hätte das Gewölbe einbrechen können, aber dann wären trotzdem Spuren zu sehen. Bei einem Einsturz wäre das Geröll noch eine Ewigkeit lang unverändert geblieben. Nichts hätte die Höhlenwand vom Boden bis zur Decke auf derart magische Weise zu schließen vermocht.
Außer es war von Menschenhand geschehen.
Sie trat einen Schritt zurück und hob den Kopf, damit die Stirnlampe direkt auf die Wand schien. Konzentriert betrachtete sie jeden Zentimeter und drückte mit der Faust gegen den Sandstein, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um so hoch wie möglich zu kommen. Mr Weaver hatte ihr erklärt, dass dieser Teil der Winkel’s Cave noch nie erkundet, geschweige denn kartografiert worden war. Obwohl er sich Sorgen um sie zu machen schien, war bei dem Gedanken an all die Schätze, die sie untereinander aufteilen würden, ein Glitzern in seinen Augen gewesen.
Es lag an der Höhle, dachte sie, an der Art, wie sich die Stille anfühlte, an dem dumpfen Geräusch ihrer eigenen Schritte. Ruth war sicher, dass schon sehr lange kein Mensch mehr diese Höhle betreten hatte, vielleicht seit dem Tag, als das Gold hier versteckt worden war. Mr Weaver hatte eine Gittertür angebracht, um den Eingang abzusperren - er wollte nicht verklagt werden, wenn irgendwelche Einfaltspinsel sich in der Höhle verletzten, hatte er ihr gesagt. Er hatte den Schlüssel nicht finden können, doch das war belanglos gewesen. Es war ein Kinderspiel gewesen, das Schloss zu öffnen.
Schließlich trat sie einen Schritt zurück und summte abermals. Wenn jemand diesen bogenförmigen Durchgang verschlossen hatte, hatte er sich ungemein geschickt angestellt. Ruth konnte keinerlei Ritzen entdecken, nichts Seltsames oder Ungewöhnliches. Sie setzte sich auf den Boden, lehnte sich an die gegenüberliegende Höhlenwand und band sich einen ihrer Wanderstiefel neu. Erst jetzt spürte sie die Müdigkeit. Sie holte einen Energieriegel hervor - ihre Lieblingssorte mit Erdnussbutter - und aß ihn langsam und bedächtig. Danach spülte sie ihn mit etwas Wasser aus der Plastikflasche hinunter, die an ihrem Gürtel festgemacht war. Dabei hob sie den Kopf und richtete die Lampe wieder auf den Fels. Allmählich hasste sie diese verdammte Wand! Ruth begann ganz oben und suchte erneut die Fläche bis zum Boden ab.
Da sah sie etwas, ungefähr einen halben Meter über der Erde, wo das Licht anders reflektiert wurde. Sie kroch zur Wand und betrachtete den schmalen Schatten. Dort, das war es: eine Linie aus Staub und Schmutz, etwa einen Zentimeter breit.
Gütiger Himmel, es war nicht nur eine einfache Linie, es war der Umriss eines Bogens!
Adrenalin schoss durch ihren Körper. Nun nahm sie die Wand noch genauer in Augenschein und sah, dass jemand die bogenförmige Linie tief in die Wand gemeißelt hatte. Sie berührte sie mit den Fingerspitzen und drückte vorsichtig dagegen. Ihre Finger sanken mühelos bis zum ersten Gelenk in den weichen, dicken Staub, der sich im Laufe vieler Jahre gebildet haben musste. Eines wusste sie ganz sicher: Die Ansammlung von Staub in dieser Ritze war mehrere Jahrzehnte älter als sie selbst, und Ruth fragte sich, wie viel Zeit wohl noch verstreichen müsste, bevor die Umrisse der Öffnung vollkommen verschwinden würden. Wer hatte diesen Bogen in den Fels gemeißelt, und weshalb nur? Oder sollte er etwas verbergen?
Ruth drückte leicht gegen den Sandstein, genau unterhalb der Umrisslinie. Zu ihrem Erstaunen gab er ein wenig nach. Mit der flachen Hand versetzte sie der Wand einen heftigen Stoß. Der Stein gab noch weiter nach. Ihr Herz begann wie wild zu pochen. Der Stein war so leicht, dass sie ihn herausgraben konnte. Sie zerrte den kleinen Pickel von ihrem Gürtel und bearbeitete die Wand. Sandstein bröckelte herab, und plötzlich starrte sie auf ein kleines, rundes Loch.
Sie beugte sich etwas nach vorne, doch das Loch war so klein, dass sich nichts von der Kammer dahinter erkennen ließ. Und dort befand sich ganz bestimmt eine Kammer, genau die, nach der sie gesucht hatte! Ruth grinste wie eine Wahnsinnige und nahm erneut den Pickel zur Hand. Die Sandsteinplatte, die den bogenförmigen Durchgang versperrte, brach auseinander und stürzte in den dahinterliegenden Raum. Jetzt war das Loch gerade mal so breit wie die Tür einer Hundehütte, aber es war groß genug, dass sie hineinspähen konnte. Rasch schob sie den Gesteinsschutt zur Seite und steckte den Kopf durch die
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