Angst auf der Autobahn
Mein Fräulein,
Sie haben Frühstück bestellt.“
„Habe ich das?“
„Ich führe nur den Auftrag
aus.“
„Aber ich liege noch im Bett,
Herr Ober.“
„Wo ist das Problem, gnädiges
Fräulein?“
„Ich bin noch nicht gekämmt.“
„Ihr Haar ist in jedem Zustand
ein Augenschmaus.“
„Na, gut! Dann treten Sie
näher.“
Grinsend schloß Tim die Tür
hinter sich.
Halbdunkel. Die Fenstervorhänge
ließen den Sommertag nicht herein. Es duftete angenehm — reichlich nach Gabys
Haar und nur wenig nach Oskar, der wie immer auf dem Bettvorleger lag.
„Guten Morgen, Gaby!“
„Also, das finde ich spitze,
Tim. Hoffentlich machst du das auch in 50 Jahren noch.“
„Ich verspreche es.“
Sie trug einen nachtblauen
Schlafanzug, wie er sah, mit kleinen weißen Pünktchen. Die goldblonde Mähne
breitete sich über das Kopfkissen.
Tim rückte einen Stuhl neben
Gabys Bett und stellte das Tablett ab.
Oskar wedelte, blieb aber
liegen, war noch zu faul zu einer echten Begrüßung.
Gaby richtete sich auf und ließ
sich von Tim auf die Stirn küssen. Er schenkte Tee ein — und durfte bleiben,
während sie sein Frühstück verspeiste.
Interessiert betrachtete er
ihren Nachttisch.
„Ich habe mal gehört, was bei
einem Mädchen auf dem Nachttisch rumliegt, verrät, wie sie ist.“
„Hmmm! Kann sein. Das Ei ist
etwas zu weich. Aber der Tee ist genau richtig.“
„Papiertaschentücher“, zählte
Tim auf. „Haarbänder, Rekorder mit acht Musikkassetten, dein Wecker,
abgestellt, fünf Bücher — drei davon spannend und zwei zum Vorzeigen. Die
liegen natürlich oben. Angeberin!“
„Na und? Hier! Der Toast ist
auf einer Seite zu dunkel.“
„Tut mir wahnsinnig leid.“
„Ich verzeihe es dir.“
„Wozu brauchst du die
Duftöllampe?“
„Wenn sich ein Gewitter
ankündigt mit stickiger Luft, riechen Hunde wie Misthaufen.“
„Oskar, hast du das gehört?“
„Er weiß es — und hat mir
geraten, dann die Duftöllampe zu benutzen.“
„Trägst du immer so chice
Schlafanzüge?“
„Nein. Sonst penne ich in ausgedienten
T-Shirts. Aber ich ahnte, daß ich heute morgen Besuch bekomme.“
„Und hast dich fein gemacht.“
„Bin ich fein?“
„Zum Fotografieren!“
„Kommt nicht in Frage! Du
behältst mich so in Erinnerung.“
Er nickte grinsend. „Und was
ist in der großen Schachtel?“
„Das verrate ich nicht.“
„Pfote!“ meinte er vorwurfsvoll
und bemühte sich, düster zu blicken. „Ich habe keine Geheimnisse vor
dir.“
„Aber ich vor dir“, lächelte
sie. „Bitte, noch eine Tasse Tee!“
Er schenkte nach. „Also, was
enthält diese Schachtel?“
„Deine Briefe, was sonst!
Manchmal lese ich sie. Den einen kann ich auswendig. Schreib mir mal wieder!“
„Aber wir sehen uns doch jeden
Tag.“
„Manches habe ich eben gern
schriftlich.“
„Also gut! Demnächst kriegst du
Post von mir und..
Er hielt inne. Denn im Flur
klingelte das Telefon.
Tim ging an den Apparat und
meldete sich. Es war Margot Glockner. Sie wollte wissen, ob alles in Ordnung
sei, und er bestätigte das, sagte jedenfalls nichts von dem tückischen
Säure-Anschlag, um Gabys Mutter nicht zu ängstigen.
Sie hatte eine gute Nachricht.
Dem Kommissar, ihrem Mann, ging es bestens. Trotzdem mußte er für eine Woche im
Krankenhaus bleiben. Sonntagabend wollte Margot zurückkommen.
„Und du achtest auf Gaby, Tim?“
„Niemand wird so bewacht wie
sie“, versicherte er. „Jetzt steht sie neben mir und will mit Ihnen sprechen.
Tschüs, Frau Glockner. Und herzliche Grüße an Ihren Mann — von mir, Karl und
Klößchen.“
Er gab Gaby den Hörer.
18. 40 Schüsse an der Autobahn
Freitag. Ende August. 14.22
Uhr.
Der Autobahn-Abschnitt zwischen
Abfahrt Plessendorf und dem Zubringer zur Westtangente der TKKG-Stadt führt
überwiegend durch Wald. Beide Fahrbahnen, getrennt durch Leitplanke und
begrünten Mittelstreifen, verlaufen wie in einem Hohlweg, dessen Hänge etwa sechs
bis neun Meter über dem Asphalt liegen. Die Hänge haben einen sanften
Neigungswinkel. Man könnte hinauf- und hinuntersteigen vom jeweiligen
Randstreifen aus. Aber das tun höchstens die Männer von der Autobahn-Meisterei.
Willert lag auf dem Bauch, hatte
sich ins saftige Gras hinter die vordere Buschreihe postiert — oben auf dem
Hang der stadtwärts führenden Fahrbahn.
Das Gewehr, das er in
Wichtigmanns Jagdhütte gestohlen hatte, war eine Sauer-Repetierbüchse. Er besaß
genug Munition, um einen ganzen Wald von seinem
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