Angst auf der Autobahn
ist
nicht nur die Einfallslosigkeit der Filmindustrie. Den dritten Brunnen habe ich
heute nacht im Traum gesehen. Einen ausgetrockneten, tiefen Brunnen inmitten
grüner Landschaft. Und alle, die an den aktuellen Ereignissen, den Events,
beteiligt sind, krochen aus diesem Brunnen heraus: Willert, Spelter, Jörg
Wichtigmann, den ich überhaupt nicht kenne, Frau Willert, Dennis und sogar dein
Vater, Gaby.“
„Verrückt.“ Gaby schüttelte den
Kopf.
„Und?“ fragte Klößchen. „Ist
das alles?“
„Genügt dir das nicht?“ fragte
Tim zurück.
„Wenn ich richtig verstanden
habe, hast du von einem Brunnen geträumt. Und in den beiden Filmen, die wir uns
unlängst reingezogen haben, letzte Nacht und vorhin, spielten die leeren
Wasserschächte eine Rolle.“
„Genau das ist es.“ Tim nickte
heftig.
„Nennst du das eine
Brunnologie?“
„Ich nenne es eine Anhäufung
von Brunnen.“ Tim sah die Skepsis in den Gesichtern seiner Freunde und
schaltete auf stur. „Und ich lasse mir nicht ausreden, daß ein Brunnen in
irgendeiner Weise für uns wichtig ist. Also werde ich nach einem Brunnen
suchen.“
„Vielleicht ist Mineralwasser
gemeint“, sagte Karl spöttisch. „Der Brunnentaler Naturbrunnen gilt als gesund.
Besonders wenn einer wie du mit schweißtreibenen Sportarten seinen
Wasserhaushalt verausgabt.“
„Ihr seid blöd“, erwiderte Tim.
„Mit euch kann man nicht reden. Ich ziehe mich jetzt in meinen Schlafsack
zurück.“
„Nun ist er gekränkt.“ Gaby
strich ihrem Freund über die Haare wie einem Kind.
Tim nahm ihre Hand und biß in
den Daumen. „Ich bin nicht gekränkt. Mich nervt eure Phantasielosigkeit. Weiß
nicht jedermann, daß es Gedankenverbindungen gibt von X zu Y. Telepathie!
Vielleicht ist alles auch nur ein lausiger Zufall. Aber ich weiß es, spüre es,
fühle es: Ein Brunnen ist wichtig. Und den finde ich.“
Seine Freunde lächelten.
Dann rutschte das Lächeln aus
Karls Gesicht, und er riß seine Brille von der Nase.
„Sagtest du, dein Traum hätte
dir einen Brunnen inmitten grüner Landschaft gezeigt?“
„Nett, daß du dich erinnerst.“
Karl stieß den Atem über die
Zähne. „Himmel, das paßt. Der Ruffiedler-Hof von der alten Anna Tewka — der
hatte einen Brunnen. Und die Scholle liegt genau in dem Gebiet.“
„Was meinst du?“ fragte Tim.
„Den Einöd-Hof.“
Keiner kannte ihn. Aber Karls
Hohlwangen-Gesicht hatte sich gerötet, und er polierte eifrig an seinem
Nasenfahrrad.
„Westlich — also südwestlich
von der Westtangente — in Richtung Hängelwald, aber eher zu Plessendorf hin —
da liegt, ziemlich versteckt liegt er, liegt also der Einöd-Hof. Er wurde vor
Jahren schon aufgegeben. Ist ‘ne Ruine, Alles verfällt. Als mich mein Vater zu
einer Waldlehrpfad-Wanderung mitgeschleppt hat, sind wir da durchgekommen.
Voriges Jahr während der Sommerferien. Mein Vater kannte nämlich die Besitzer.
Den Bauern Ruffiedler und seine Frau Anna Tewka-Ruffiedler, die von irgendwoher
aus dem Osten stammte. Die waren eine der ersten Bio-Bauern.
Aber damals war das
Gesund-Futtern noch nicht en vogue. Jedermann hat den üblichen Dreck gefuttert.
Und deshalb haben die Ruffiedlers Pleite gemacht. Biologischer Anbau ist ja
bekanntlich viel kostenaufwendiger als der mit der Giftchemie. Der alte
Ruffiedler starb, Anna ging in ihre Heimat zurück. Kinder hatten sie nicht. Und
der Hof ist jetzt verfallen und öde. Vor allem der tiefe, schaurige Brunnen.
Meinst du den, Tim?“
Der TKKG-Häuptling hob die
Schultern. „Keine Ahnung. Aber morgen werden wir’s wissen. Du, Karl, führst uns
hin.“
Gaby sprang auf, lief hinüber
ins Arbeitszimmer ihres Vaters und kam mit einer Wanderkarte zurück.
Sie betraf das weite Umland
westlich der Millionenstadt.
TKKG beugten sich darüber, und
Karl zeigte, wo — ungefähr — der Einöd-Hof zu suchen sei.
Eingezeichnet war er nicht.
„Irre!“ Tim ballte die Faust.
„Hier etwa wurden Gaby und ihre Mutter von Willert überfallen. Hier etwa war
das Schützenfest an der Autobahn. Und der Hof liegt auf dem Wege, auf der fußläufigen
Verbindung zwischen beiden Stellen. Das kann bedeuten: Willert ist dort
vorbeigekommen.“
„Er und der kleine Jörg“, sagte
Gaby.
22. Spelter rutscht aus dem
Seil
Der Samstagvormittag war heiß.
Der Regen hatte gegen 4.00 früh aufgehört.
Jetzt dampften die Lichtungen
im Wald. Schwaden hingen zwischen den Sträuchern. Stare und Amseln hüpften auf
den Ästen. Meisen setzten mit ihrem
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