Angst (German Edition)
trauriger war, weiß aber nicht, ob es an jenem Abend tatsächlich geregnet hat. Weißt du, was dann passiert ist, fragte Rebecca, meine Hand lag immer noch auf ihrem Rücken. Du hast, nachdem du die Bratwurst gegessen hast, dein Handy genommen und mir eine SMS geschickt: Arbeite noch, love and kiss. Sie weinte jetzt. Das war die Wahrheit, sagte ich, ich habe noch Entwürfe gemacht. Bestimmt, sagte sie sanft, das hast du bestimmt. Und trotzdem, fuhr sie fort, weiß ich nicht, was schlimmer ist für mich: dich dort mit einer anderen Frau zu sehen oder allein. Es tut mir leid, sagte ich. Sie richtete sich auf, ihr Zeigefinger schnellte auf mich zu. Doch, schrie sie, ich weiß, was schlimmer ist. Das Schlimmste ist der leere Stuhl dir gegenüber, weil dir ein leerer Stuhl lieber ist als ich. Ihre Stimme schrillte, ich wurde panisch, Herzrasen. Wenn da eine Frau mit Titten und Arsch gesessen hätte, schrie Rebecca, meinetwegen mit den besten Titten und dem besten Arsch der Welt, dann könnte ich gegen diese Frau ankämpfen, aber ich kann nicht gegen einen leeren Stuhl ankämpfen, ich weiß nicht, wie man gegen einen leeren Stuhl ankämpft. Sie nahm den Wecker, der auf ihrem Nachttisch stand, weil sie immer geduscht sein wollte, bevor die Kinder wach wurden, und warf ihn gegen die Wand, wo er zerschellte. Mami? Fee stand in der Tür, ein Stoffschaf im Arm. Rebecca sprang aus dem Bett, lief zu ihr hin und hob sie auf ihre Hüfte. Ich sah die beiden verschwinden, dann hörte ich ein Flüstern und Singen, meine Frau kann trotz ihrer hohen Stimme schön singen. Nach einer Viertelstunde kam Rebecca zurück, legte sich ins Bett und presste sich fest an mich, ihre Hand in meinem Haar. Du hast diesen Sex nicht mit mir, sagte sie nach einer Weile, ihre Stimme war ruhig, du hast ihn mit dir, du berauschst dich an dir selbst, und mich benutzt du wie ein Instrument. Das stimmt nicht, sagte ich entrüstet, schscht, machte Rebecca und sah mich beschwichtigend an, ich meine ein schönes Instrument, eine Violine von Stradivari, etwas ganz Edles, Wertvolles, du benutzt mich so, wie ein Meistergeiger seine Violine benutzt, leidenschaftlich, liebevoll, zärtlich, du bist sehr zärtlich, aber wenn da eine andere Frau läge, würdest du genauso verloren sein, weil es um dich geht, nicht um die Frau. Ich hob an zum Protest, aber Rebecca legte einen Finger auf meine Lippen, machte wieder schscht und sagte, wir schlafen jetzt.
Ich lag lange wach in jener Nacht und suchte Belege dafür, dass nicht stimmte, was meine Frau gesagt hatte, fand aber nicht viele. Am Morgen fragte ich sie, ob sie Sex mit mir denn nicht möge, und sie sagte: Doch, ich mag Sex mit dir, es ist schön, dabei zu sein. Verstimmt ging ich ins Büro, war aber nicht lange verstimmt. Es gab so viel, das mich beruhigen konnte. Immerhin war der Sex gut, immerhin war unsere Ehe unverbrüchlich, immerhin gelangen unsere Urlaube, immerhin gelangen unsere Weihnachtsfeste, immerhin liebte ich meine Frau, jedenfalls konnte ich das so behaupten, immerhin waren wir vier eine gute Familie, und das waren wir wirklich, ausnahmslos waren wir fröhlich mit den Kindern, sie bekamen nichts mit von meinem Wegdriften.
Das Schwierige an langen Ehen ist, dass es so viele Erzählungen von ihnen gibt. Wenn ich mich beruhigen wollte, konnte ich eine schöne Erzählung abrufen, und sie hatte ihre Wahrheit. Wenn ich meiner Frau ausweichen wollte, konnte ich eine unschöne Erzählung abrufen, und sie hatte auch ihre Wahrheit. So erzählte ich mir das, was ich gerade brauchte, und fing nicht an, etwas zu verändern. Meine kluge Frau nennt dies das Privileg der Sowieso-Welt. Wir sind deine Familie, wir sind immer da, du hast uns anstrengungslos, du hast uns sowieso, das ist dein Glück und unser Verhängnis, weil dir der Druck fehlt, etwas zu ändern. Ich müsste die Sowieso-Welt aufbrechen, ich müsste dich verlassen oder eine Affäre anfangen, aber das will ich nicht, ich bin deine Frau, sagte meine Frau. Ich war gerührt nach solchen Sätzen und nahm mir vor, endlich etwas zu verändern, endlich aus meiner Abgeschiedenheit herauszukommen. Ich nahm mir das oft vor, ich bin so ein Typ, der dauernd Abschied nimmt, der sich gerne sagt, noch ein einziges Mal, oder: Dies ist das letzte Mal. Ich habe mir das im Hedin gesagt, im Beluga, im Luna, im Stranz, sehr oft habe ich mir gesagt: die letzte Feier des Alleinseins bei einem großen Essen und dann nur noch Abende mit Rebecca, und wenig später saß ich
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