Angst (German Edition)
wieder da und hielt Selbsteinkehr. Die unglückliche Ehe als Lebensform, die einen zufrieden macht, vielleicht gibt es das.
Als ich nach Bali aufbrach, fuhr mich meine Frau nicht zum Flughafen, weil sie unsere Kinder zu einem Ereignis, das unklar blieb, chauffieren musste. Ein Kuss in der Diele, eine flüchtige Umarmung, Fee weinte. Ich nahm mir sofort vor, nie mehr ohne meine Familie zu verreisen. Aber da dies nun einmal meine letzte Reise ohne Familie sein würde, war ich entschlossen, sie zu genießen, und schüttelte mein schlechtes Gewissen auf dem Flug halbwegs ab. Es war nun einmal so. An Herrn Tiberius dachte ich nicht.
Mein Freund Stefan holte mich am Flughafen von Denpasar ab. Wir kannten uns vom Zivildienst, also schon lange. Er studierte Betriebswirtschaft und ging für die Deutsche Bank nach Jakarta, wo er eine Indonesierin heiratete und blieb. Er war jetzt selbständig und machte Finanzgeschäfte, die ich nicht durchschaute. Wir hatten andere Themen, wir waren radikal offen miteinander, was unsere privaten Dinge anging. Wir nannten das unsere Schamlippengespräche, ein Begriff aus unserer Studentenzeit, als wir uns über die Beschaffenheit der intimsten Körperteile unserer Liebschaften austauschten. Jetzt meinten wir damit eher Eheprobleme, die wir in konsequenter Selbstbeschau ausbreiteten. Aber die Fahrt von Denpasar nach Seminyak war zu kurz, um damit anzufangen. Wir brachten uns auf den neuesten Stand und redeten über die Hochzeit, seine zweite, wieder eine Indonesierin.
Wir hatten drei Tage Zeit bis zur Hochzeit. Ich wohnte in einem Hotel am Strand und schlief bis zum Mittag, las zwei Stunden auf meinem Balkon, «Licht im August» von William Faulkner, zeichnete ein wenig, drehte eine Runde durch Seminyak mit dem Roller, den ich gemietet hatte, und ging so gegen vier zum Strand, wo sich der größte Teil der Hochzeitsgesellschaft schon versammelt hatte. Es war ein breiter, weißer Strand, hohe Wellen, Hitze auch noch am späten Nachmittag. Ich mietete ein kurzes Brett, mit dem ich ein Stück hinausschwamm und auf die guten Wellen wartete. Sie kamen nicht oft. Wir trieben im Meer, erzählten von unseren Berufen und Familien, und wenn eine gute Welle kam, versuchten wir sie beim Brechen zu erwischen, schnellten mit den Oberkörpern auf die Bretter, paddelten kurz mit den Armen und ließen uns zum Strand tragen. Das war leicht, es machte Spaß, wir lachten wie Kinder. Später holte jemand Bier, und wir hofften auf einen dramatischen Sonnenuntergang, aber jedes Mal legte sich zwischen Meer und Himmel ein graues Wolkenband, in dem die Sonne schnöde verschwand.
Einige Leute waren beunruhigt, weil sich jeden Nachmittag um halb fünf Gruppen von zwanzig, dreißig Indonesiern am Strand niederließen. Sie waren festlich gekleidet, Turbane, bunte Tücher, und sangen. Sie hatten Schalen dabei mit Blüten und längeren Gegenständen, die aussahen wie große Knallbonbons. Um fünf Uhr standen sie auf, gingen langsam zum Wasser und warfen die Dinge, die sie mitgebracht hatten, hinein. Dann kehrten sie um. Das Meer spülte die Dinge zurück, noch ehe diese Leute den Strand verlassen hatten, aber das kümmerte sie nicht. Zwei oder drei Männer aus unserer Hochzeitsgesellschaft behaupteten, dies sei ein Ritual, um das Meer zu beschwichtigen, angeblich habe es eine Warnung vor einem Tsunami gegeben. Mein Freund sagte, das sei Unsinn. Seine Freunde jedoch, die nicht in Asien lebten, angeblich aber viel über Asien gelesen hatten, bestanden darauf, dass es so sei. Einige glaubten ihnen, andere nicht. Ich ging hinunter zum Wasser, um nachzusehen, was die Indonesier hineingeworfen hatten. Ich fand orangefarbene Blüten, geflochtene Fetische mit Goldbändern, Schalen aus Palmblättern. Ich fand auch ein Hühnerei in einer Plastiktüte, wusste aber nicht, ob es zu den Kultgegenständen gehörte oder bei anderer Gelegenheit zur Beute des Meeres geworden war. Ich neigte dazu, den Alarmisten nicht zu glauben, war mir aber nicht sicher. Hunde kämpften am Strand, ein paar Jungs spielten Fußball, und manchmal kamen Händler, die uns Winddrachen in der Form von Schiffen verkaufen wollten, einige schwebten über uns am Himmel, sie hatten schwarze Segel. Ich kaufte einen Winddrachen für meine Kinder. Ich gab mir Mühe, mit möglichst vielen Gästen zu reden, damit es nicht wieder hieß, ich sei verstockt. Die Rede, die ich für die Hochzeitsfeier vorbereitet hatte, machte mir etwas Angst.
Am zweiten Abend gingen wir ins
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