Angst (German Edition)
Barkeeper zwischen uns drängte. Sie verschwinden jetzt besser, sagte er. Wir zahlten und gingen, draußen lachten wir darüber, dass er uns in dieser Situation noch gesiezt hatte, umarmten einander, zogen weiter und tranken Negroni bis zum Morgengrauen.
Als ich gegen Mittag aufstand, saß mein kleiner Bruder mit meiner Frau in der Küche und trank Kaffee, während sie Knöpfe an sein Hemd nähte. Du musst ihm nicht sagen, dass wir unserem Genpool nicht entkommen können, sagte ich unwirsch zu meiner Frau, er glaubt das sowieso. Ist doch schon gut, sagte mein kleiner Bruder. Ich stand noch in der Küchentür, meine Frau legte das Hemd, Knopf, Nadel und Faden weg, erhob sich und nahm mich in den Arm. Ich liebe deinen Genpool, sagte sie. Ich legte meine rechte Hand auf ihre Hüfte. Mein kleiner Bruder stand auf, kam zu uns, nahm meine linke Hand und legte sie auf die Schulter meiner Frau. Geht doch, sagte er.
In den Wochen, bevor Herr Tiberius uns heimsuchte, lebten wir in einer schwer erträglichen Apathie miteinander. Rebecca hatte aufgegeben, um mich zu kämpfen. Sie fragte nicht mehr: Was ist mit dir? Sie bekam ohnehin immer die gleiche Antwort: Es ist nichts. Es ist die fürchterlichste Antwort von allen, sie gehört verboten und sollte, einigt man sich auf einen Ehevertrag, dort ausgeschlossen werden, weil sie fast nie stimmt und den anderen hilflos lässt. Gegen nichts kann man nichts tun. Ich lebte in der Erwartung, dass unsere Gespräche schiefgehen würden, und dann gingen sie schief, wir hatten eine Routine darin, unsere Gespräche schiefgehen zu lassen, das heißt, ich hatte eine Routine darin. So wurden meine Erwartungen ständig erfüllt, und damit kann man sich ganz gut arrangieren.
Eine der Merkwürdigkeiten unserer Ehe war damals, dass wir zauberhaften Sex miteinander hatten, wobei ich vielleicht eher sagen müsste, dass ich wundervollen Sex mit meiner Frau hatte. Aber das habe ich lange nicht verstanden. Ich ging vollkommen verloren an ihrem Körper, stürzte in Abgründe, die erschreckend himmlisch waren, weil mir jeder Boden fehlte, jeder Halt. Guter Sex ist: nach oben fallen. Im Bett bin ich ein Redner, ein bisschen vulgär, ehrlich gesagt, aber auch ein großer Bekenner: Liebe, Einzigartigkeit, Ewigkeit. Ich sagte all das auch in unseren schwierigen Zeiten, und es hatte eine Wahrheit, die es womöglich nicht nur in diesem Zustand gab, aber darüber habe ich nach meinen heftigen Erlösungen nie nachgedacht.
Ungefähr eine Woche bevor ich nach Bali flog, fragte meine Frau in mein postkoitales Wegdämmern hinein: Mit wem hast du gerade geschlafen? Mit dir, sagte ich verständnislos. Nein, sagte sie, du hast gerade nicht mit der Frau Sex gehabt, die du am Tag übersiehst. Da ist niemand, an den ich denke, sagte ich, und das war die Wahrheit. Ich hatte keine Affären, keine Sehnsüchte. Denkst du, dass ich eine Affäre habe, fragte ich Rebecca. Nein, sagte sie, ich glaube nicht, dass du eine Affäre hast. Ich drehte mich um und legte eine Hand auf ihren Rücken: Ich denke nicht nur nicht an eine andere Frau, es gibt nicht einmal eine Frau, an die ich denken könnte. Ich bin an den Abenden, an denen ich nicht hier bin, wirklich allein, sagte ich, ein bisschen gerührt von meiner Sauberkeit. Das weiß ich, sagte Rebecca. Woher weißt du das, fragte ich. Sie sei mir hinterhergefahren, sagte sie, in der letzten Woche, und da habe sie mich im Luna gesehen. Hast du mir etwa nachspioniert, fragte ich entrüstet. Sie habe wissen wollen, was mich so ablenke von ihr, sagte sie, und da sei sie mir eines Abends gefolgt und habe ihren Mann in einem teuren Restaurant gesehen, allein an einem Tisch, der umgeben war von Tischen, an denen Paare saßen, und dieser Mann, ihr Mann, habe eine Gabel mit einem Stück Bratwurst ganz langsam zum Mund geführt, mit einem Blick auf diese Bratwurst, als würde er eine herrliche Blume betrachten, und dann sei diese Bratwurst in seinem Mund verschwunden, und er habe die Augen geschlossen und mit einer Miene allergrößter Verzückung diese Bratwurst gekaut. Rebecca sagte tatsächlich dauernd Bratwurst, und es stimmte auch, als dritten Gang gab es an jenem Abend im Luna ein hausgemachtes Kalbsbratwürstchen mit Mangold und schwarzem Trüffel.
In diesem Moment erwuchs ein trauriges Bild vor meinen Augen. Meine Frau steht in ihrem hellbraunen Trenchcoat am Fenster vom Luna und betrachtet ihren Mann, wie er ganz allein ein Festessen erlebt. Ich ließ es regnen, damit es noch
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