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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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bekam ich mit. Aber in Wahrheit war er ja Agent, eine Zeitlang hatte ich keine Zweifel, dass er Agent war, und wie gern hätte ich meinen Freunden erzählt, dass wir nicht die Familie sind, die sie zu kennen meinen, nicht eine Familie wie alle anderen, sondern eher eine Familie aus dem Fernsehen. Aber ich konnte kein Wort darüber verlieren, uns war eingeschärft worden, nicht über die Waffen meines Vaters zu reden, unter keinen Umständen. Ich habe nicht einmal Klaus Karmoll von den Waffen erzählt, und er war derjenige, der mir manchmal auf dem Schulweg auflauerte, um mir ein paar Ohrfeigen zu verpassen, ohne Grund. Er war älter, stärker, ich hatte kein Mittel gegen diese Ohrfeigen und hätte gerne gesagt, dass es bei uns zu Hause einen Colt gab, ein paar Gewehre und Pistolen, darunter eine Walther PPK, mit der ich durchaus umgehen konnte. Aber ich sagte nichts und ertrug die Ohrfeigen, so sehr war ich darauf geeicht, dass uns ein Unglück drohe, würden andere von den Waffen meines Vaters erfahren. Er befürchtete Einbrüche oder Raubüberfälle von Gangstern, die Pistolen brauchten. Ich hatte deshalb nie das Gefühl, dass mich Waffen sicherer machen.
    Ein Ereignis, das ich aus der Frohnauer Zeit, meiner Jugend also, erinnere, ist ein Samstag, an dem mein Vater nicht zum Schießplatz fuhr. Ich war vielleicht dreizehn, ich glaubte nicht mehr, dass mein Vater ein Agent ist. Er war einfach begeistert von Waffen, dachte ich. An jenem Samstag kam er nachmittags mit großen Tüten und Paketen in unser Haus. Er stellte das alles im Wohnzimmer ab, niemand durfte die Sachen anfassen. Natürlich schlichen wir um diesen Berg herum, und es war uns schnell klar, was es war: ein Zelt, dazu eine Menge anderer Sachen, die einem das Überleben auf sechstausend Metern Höhe sichern. Ich war begeistert, es würde endlich losgehen, die abenteuerlichen Reisen konnten beginnen, mein Vater und ich, der Gefährte.
    Gleichzeitig war ich überrascht, denn mir war natürlich aufgefallen, dass sich das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater verändert hatte. In dieser stillen Zeit, in den Jahren 1973 bis 1975, war er mir irgendwie abhandengekommen. Ich weiß nicht, was passiert ist, es gibt wenige Ereignisse, die sich mir eingebrannt haben, es war eine schleichende Loslösung, und die ist für ein Gedächtnis schwer fassbar. Ich weiß nur, dass es so um 1975 herum nicht mehr stimmte zwischen uns. Ich kann mich an keine Gespräche erinnern, an nichts, was wir gemeinsam taten. Er hatte mich jahrelang nicht im Tor von Wacker 04 gesehen, obwohl ich nicht schlecht war, niemand, für den man sich schämen musste als Vater. Aber er kam nicht, auch nicht, wenn wir gegen Hertha Zehlendorf oder Hertha BSC spielten, und das waren Schlachten. Nach 1975 hatte er nicht mehr die Gelegenheit, mich im Tor zu sehen, denn ich hörte auf. Ich hatte mit der Zeit eine unerklärliche Angst entwickelt vor dem Alleinsein im Tor. Damals wurde in der Jugend taktisch noch nicht so gut geschult wie heute, die Torchancen ergaben sich oft aus Überfällen, wie ich das nannte. Meine Abwehr war weit aufgerückt, weil jeder vorne mitspielen wollte, und dann verloren sie den Ball, und plötzlich rasten drei Gegner auf mich zu, und niemand war da, der mir helfen konnte, kein lila Trikot in der Nähe. Ich hielt das nicht mehr aus und bat darum, als Feldspieler eingesetzt zu werden, aber dafür reichte mein Talent nicht, weshalb ich ganz aufhörte, im Verein zu spielen. Heute habe ich keine Erinnerung daran, dass mein Vater mich jemals in einem Spiel gesehen hätte, aber in meiner Kinderzeit, denke ich, war er hin und wieder dabei.
    Doch jetzt hatte er die Ausrüstung für unsere Reisen gekauft, und ich freute mich. Es wäre noch schöner gewesen, hätte er mich mitgenommen, um die Sachen mit ihm auszusuchen, aber vielleicht sollte es eine Überraschung sein. Am Nachmittag war ich mit einem Freund in dessen Haus verabredet, und als ich abends zurückkam, stand das Zelt im Garten. Ich ging hin, zog den Reißverschluss auf und sah einen Schlafsack, eine Isomatte. Also würden meine Sachen wohl in meinem Zimmer liegen, dachte ich, aber da war nichts. Ich ging runter ins Wohnzimmer, meine Mutter spielte mit meinen Geschwistern, mein Vater las, ein kurzer Gruß, dann las er weiter. Ich spielte eine Runde Halma mit, aber da nichts gesagt wurde, verzog ich mich bald in den ersten Stock. Ich badete lange, grübelte, ich verstand das alles nicht. Als ich aufgeweicht und in ein

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