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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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Hauptgang rühmte man Ordnung und Sicherheit. Doch nun, im Warteraum für den Flug von Singapore Airlines nach Paris, dachte ich: Wenn mir das schon passieren muss, warum passiert es mir nicht in Singapur? Da würden sie schon fertigwerden mit Herrn Tiberius. Todesstrafe. Dieser Gedanke war, wenn ich das richtig erinnere, mein nächster Schritt in die Barbarei.
    Auf dem Flug nach Paris habe ich nicht geschlafen. Ich ging dreimal auf die Toilette, um die Mailbox meines Handys abzuhören, da ich einen Anruf des Jugendamts befürchtete. Aber da war nichts. Ich sah mir drei Filme an, ohne Ton, einer war von Woody Allen, einer mit Clint Eastwood, als Letztes eine Folge von Harry Potter, ich weiß nicht mehr, welche, und ich verfolgte das kleine Flugzeug, das sich auf dem Monitor auf Paris zuschob. Im Kopf lief mein amerikanischer Film, unterbrochen von wüsten Gedanken daran, was ich Herrn Tiberius antun würde, sobald ich ihn zu fassen bekäme. Nasenbeinbruch, Hämatome überall. Kurz darauf war ich wieder der vorbildliche Bürger eines vorbildlichen Rechtsstaates, wir waren im Recht, würden im Recht bleiben und deshalb von unserem Staat recht bekommen. Herr Tiberius konnte schon mal seine Koffer packen.
    Charles-de-Gaulle, wieder ein Flughafen, Hass auf Flughäfen, Warten in der Trostlosigkeit. Dann Berlin, meine Frau wartete mit Paul und Fee am Ausgang, große Umarmungen, wie lange nicht mehr, Umarmungen ohne Geschichte, ohne die letzten Jahre unserer Ehe, Umarmungen von Verzweifelten. Im Auto, auf dem Weg nach Hause, erzählte ich den Kindern von den Himmelsschiffen mit den schwarzen Segeln und den Hunden am Strand. Unser Haus stand weiß in der Morgensonne, still, friedlich, nichts rührte sich, es war das Haus, das ich kannte, und doch ein ganz anderes.

    Ich glaube, ich habe Pech mit Häusern, mit Eigentum. Als wir im Foxweg wohnten, im sechsten Stock und zur Miete, ging es mir gut. Meine schwierigen Zeiten begannen, nachdem meine Eltern 1973 eine Doppelhaushälfte in Frohnau gekauft hatten, das heißt, sie begannen nicht sofort. Ich erinnere mich an fast nichts aus den Jahren 1973 bis 1975, nichts Persönliches jedenfalls. Natürlich weiß ich, wo ich das Finale 74 gesehen habe, im Vereinsheim von Wacker 04, mit Bulette und Fassbrause. Ich erinnere auch, wie Willy Brandt zurücktrat und dass mein Vater sagte, den Guillaume solle man an die Wand stellen. Das leuchtete mir ein, Guillaume war ein Spion, den Spionen aus meinen Büchern erging es oft nicht anders. Die Waffen meines Vaters waren bei uns kein Thema. Sie waren einfach da, waren normal für uns. Aber dass andere Väter nicht mit Waffen unter der Achselhöhle die Wohnung verließen, war mir schon klar. Erst vermutete ich, dass er bei Ford Marschewski nicht nur Autos verkaufte, sondern auch für die Sicherheit zuständig war. Doch größere Barbeträge hatten sie dort nicht, das konnte es nicht sein. Daher kam ich auf den Gedanken, mein Vater führe ein zweites Leben, ein geheimes, er sei ein Killer oder der Kopf einer mafiaähnlichen Vereinigung, wir, seine Familie, seien die Tarnung. Oder er sei in Wahrheit ein Agent, Berlin war eine Stadt für Agenten, mir war die Rolle meiner Heimat im Kalten Krieg mit den Jahren immer klarer geworden, wir waren das Zentrum, hier prallten die Systeme aufeinander, unser gutes, deren böses. Und war Ford nicht eine amerikanische Firma, die sicherlich Agenten im Staatsauftrag tarnte? Ich begann, meinen Vater schärfer zu beobachten, aber da gab es nichts, was auffällig war. Werktags verließ er das Haus um Viertel vor acht, um Viertel nach sieben war er zurück, und zwar immer. Dann gab es Abendbrot, und dann saßen wir im Wohnzimmer, redeten und spielten mit meiner Mutter, während er auf dem Sofa las oder seine Waffen reinigte und ölte. Nie werde ich den Geruch von Ballistol vergessen. Am Samstag fuhr er zum Schießplatz, aber da war meine Schwester dabei, und am Sonntag liefen wir durch den Grunewald.
    Ich machte Überraschungsbesuche bei Ford Marschewski, um zu schauen, ob er wirklich immer da war. Er war immer dort, und nie sah ich, wie er rasch einen Dunkelmann verabschiedete oder hastig den Hörer auflegte, sobald er mich erblickte. Übrigens hatte sich etwas verändert in den letzten Jahren. Die Männer, die potenziellen Kunden, kamen nicht mehr staunend, sie kamen als Experten, sie wussten inzwischen alles über Autos und ließen das meinen Vater spüren, er war nicht mehr der König von Ford Marschewski, das

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