Angst (German Edition)
meinem Bett lag, machte ich mir Gedanken darüber, dass die Waffen, die mein Vater zu Hause hatte, offenbar geladen waren. Ich wusste zwar, dass er mit Munition gut versorgt war, weil sich manchmal diese bunten Pappschachteln auf unserem Esstisch stapelten. Aber ich hatte sie immer getrennt von den Waffen gesehen, mein Vater achtete eigentlich sehr auf Sicherheit. Mir kamen die Waffen nun noch bedrohlicher vor.
Ich will hier aber betonen, dass selbst meine Jugendzeit von Normalität geprägt war. Auch das ist eine Falle der historischen Erzählung, sie stellt die auffälligen Ereignisse heraus, weshalb alle Zeiten so bewegt oder gar aufgewühlt wirken. Unsere Tage waren ruhig, gerade zu Hause. Wir standen am Morgen auf, das Frühstück war gemacht, wir gingen zur Schule, erledigten unsere Hausaufgaben, trafen Freunde, aßen abends mit den Eltern, redeten mit meiner Mutter, während mein Vater in aller Regel friedlich las. Selten griff er ein in unser Gespräch und erzählte etwas aus seiner Jugend oder von einer Begebenheit bei Ford Marschewski. Und wenn er brütete, störten wir uns nicht daran, sondern lebten unser Leben so, wie wir wollten. Nach dem Essen ging ich meist auf mein Zimmer, las und hörte Musik. Meine Schwester und mein Bruder blieben und spielten mit unserer Mutter. Wenn Bruno ins Bett musste, las ich ihm eine Geschichte vor, wir redeten noch ein bisschen, und dann kam unsere Mutter, um mit uns zu beten. Im Stillen habe ich mich beim lieben Gott immer noch für mein schönes Leben bedankt.
Aber es gab eben Momente des Schreckens, und es gab diese Angst, um mich und mehr noch um meinen Bruder. Teakholztage gab es nicht mehr, meine Mutter hatte aufgehört mit der Prügelstrafe. Es gab Stubenarrest oder Taschengeldentzug, auch das tat weh. Mein kleiner Bruder allerdings wurde geschlagen, von meinem Vater. Wenn Bruno ihn reizte, verlor mein Vater die Kontrolle. Einmal hörte ich meinen kleinen Bruder laut schreien und bin sofort die Treppe hinuntergerast, ich konnte jeweils vier Stufen mit einem Sprung nehmen, und dann sah ich ihn auf dem Boden hocken, die Arme auf den Kopf gepresst. Mein Vater stand über ihm und schlug blindwütig zu. Es waren harte, brutale Schläge, die auf meinen kleinen Bruder prasselten. Meine Mutter versuchte, die Hände ihres Mannes zu greifen, wurde aber immer wieder abgeschüttelt. Hermann, rief sie, Hermann, hör auf! Als mein Vater mich sah, hielt er inne, schlug noch einmal zu und ließ dann ab. Ich werde dich …, fauchte er. Hermann, rief meine Mutter. Ich zog Bruno hoch und brachte ihn nach oben in mein Zimmer. Er warf sich auf mein Bett und schluchzte haltlos. Ich saß bei ihm, strich mit einer Hand über seinen Kopf. Ich bringe Papa um, schluchzte mein kleiner Bruder. Solche Sätze sind wahrscheinlich häufig in Jugendzimmern gedacht oder gesagt worden, aber sie klingen anders in einem Haus voller Waffen. Ruhig, ganz ruhig, sagte ich, ängstlich, wie ich jetzt war. Ich hatte Angst, dass mein Vater inzwischen eine Pistole oder den Colt aus dem Tresor im Schlafzimmerschrank geholt hatte und auf dem Weg war, uns zu erschießen. Ich stand auf und lauschte an der Tür, nichts, ich schloss ab. Wir bauten unsere Carrerabahn auf, und als wir fast fertig waren, senkte sich die Türklinke. Wir erstarrten, aber dann hörten wir die Stimme unserer Mutter. Ich schloss auf. Sie kam herein, sie hatte nicht geweint, wie wir sofort sahen. Bruno ließ sich nicht von ihr in den Arm nehmen, sie setzte sich auf den Stuhl am Schreibtisch. Wenn man mit unserer Mutter redet, selbst nach solchen Katastrophen, hat man immer das Gefühl, in einer schönen Welt zu leben. Sie übergeht die Dinge, die einen anderen Eindruck aufkommen lassen könnten. Das war auch in dieser Situation so. Sie sagte, dass Bruno seinen Vater nicht provozieren solle, sagte das ganz sanft, fast verständnisvoll: Sie fände es schön, wenn es Bruno künftig vermeiden könne, seinen Vater zu provozieren. Ich habe doch gar nichts zu ihm gesagt, sagte Bruno. Aber zu mir hast du gesagt, ich sei nur die Dienerin meines Mannes, sagte meine Mutter, und das war nicht nett. Bruno hatte mir bis dahin nur erzählt, dass der Papa ausgerastet sei, weil er, Bruno, mit der Mama gestritten habe. Plötzlich habe er seine Zeitschrift auf den Boden geworfen, sei vom Sofa aufgesprungen und habe auf ihn eingeprügelt. Ich bin nicht die Dienerin von eurem Vater, sagte meine Mutter jetzt zu Bruno, und ich habe meinen Beruf gern aufgegeben,
Weitere Kostenlose Bücher