Angst im Paradies
versicherte ich fest. „Ich hab es hinter mir. Wir sind jetzt in Sicherheit.“
Liz nahm meine Hand und drückte sie fest.
„Ihr bleibt natürlich hier bei mir, bis ihr was Besseres gefunden habt. Lass dir Zeit mit allem. Was du jetzt brauchst, ist Ruhe und Erholung. Vielleicht solltest du zu einer Selbsthilfegruppe gehen.“
„Das habe ich schon überlegt. Ja, ich denke, das werde ich machen. Ich danke dir. Du bist eben doch meine allerbeste Freundin!“
„Ich freu mich jedenfalls riesig, dass ich dich wieder habe und deinen Kleinen werde ich von vorne bis hinten verwöhnen. Morgen kaufen wir einen großen Teddybären!“
Ich lachte.
„So kenn ich dich! Du hast dich nicht verändert.“
Liz zuckte mit den Schultern.
„Ich bin, wie das alte Zeugs hier“, erklärte sie mit einem breiten Grinsen. „Ein paar Macken und Wurmlöcher aber sonst unverwüstlich.“
Kapitel 35
I ch hängte die letzte Kugel in den Baum. Es war das erste Weihnachten, seitdem ich aus Gambia zurück nach England gekommen war.
„Toll! Toll!“, rief Lamin begeistert und hüpfte vor Aufregung.
„Soll ich ihn heute Abend baden? Wo er doch erkältet ist, meine ich“, fragte Anne, mein neues Kindermädchen.
Ich hatte seit einem halben Jahr einen gut bezahlten Job in einem Hotel als Leiterin der Rezeption bekommen, doch durch die Schichten brauchte ich jemanden, der auf Lamin aufpasste, während ich arbeitete. Das schmälerte natürlich meinen Verdienst ganz schön, doch es blieb trotzdem noch genug übrig, um gut zu leben und ein Sparkonto für Lamin anzulegen.
„Ich denke, dass du ihn ruhig baden kannst. Nur trockne ihm die Haare gut und steck ihn gleich ins Bett. Fieber hat er ja nicht mehr und er ist auch so ganz fit“, antwortete ich.
„Bade, bade!“, rief Lamin, der die Unterhaltung genau verstanden hatte. Er liebte Baden. Als niemand reagierte, wiederholte er vehementer: „Bade will!“
„Später mein Schatz“, vertröstete ihn das Kindermädchen und hob ihn hoch. „Jetzt essen wir erst mal ein paar von den Plätzchen, die wir gebacken haben.“
„Ja! Pätzchen, Pätzchen haben!“, jubelte Lamin glücklich und hatte das Baden erst mal vergessen.
Ich sprang schnell unter die Dusche und zog mir ein dunkelblaues Kostüm an, das aus einem knielangen Rock, weißer Bluse und blauem Blazer mit dem Logo des Hotels bestand. Ein rotes Halstuch rundete mein Arbeitsoutfit ab. Ich schnappte mir meine Tasche und ging in die Küche, wo Lamin vor einem Teller frischgebackener und duftender Plätzchen saß, die Backen voll und um ihn herum eine wahre Invasion von Krümeln.
Ich gab ihm einen Kuss auf den Scheitel.
„Sei brav, mein kleines Krümelmonster“, mahnte ich und nahm mir auch zwei Plätzchen vom Teller.
Lamin sah mich vernichtend an.
„Meine Pätzchen!“, rief er empört.
„Es sind noch genug da“, sagte Anne.
„Bis später!“, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg.
*
Modou klammerte sich an seinen Pappbecher mit heißem Kaffee. Das Europa so verdammt kalt sein würde, hatte er nicht gedacht. Sein Bruder hatte ihn zwar mit einem warmen Pullover und Jacke ausgestattet, doch der kalte Wind, der Modou um die Ohren wehte, war geradezu beißend. Da nützte ihm auch die rote Wollmütze wenig, da sie die Ohren nicht bedeckte. Seine Hände wären ohne den Kaffee sicher schon längst abgefroren, so dachte er jedenfalls. Wie sein Bruder es in diesem kalten und ungemütlichen Land schon so lange aushielt, konnte er beim besten Willen nicht nachvollziehen. Das goldene Europa hatte er sich anders vorgestellt.
Er blickte zu dem Haus auf der anderen Straßenseite hinüber. Dort wohnten seine Frau und sein Sohn. Es war nicht leicht gewesen, sie ausfindig zu machen. Er hatte vermutet, sie würde wieder in ihrer alten Stadt, in Hastings wohnen, doch sie war scheinbar schlau genug gewesen, das nicht zu tun. Dennoch war sie nicht schlau genug gewesen. Sie hatte ihren Sohn in einer Krabbelgruppe des Rudolph Steiner Kindergartens in London angemeldet und auf der Internetseite eben dieses Kindergartens hatte sie eine Anzeige geschaltet, dass sie eine Tagesmutter suchte. So hatte Modou ihren Namen im Internet gef Interneunden, was ihn auf die Spur des Kindergartens in London gebracht hatte. Es schien ihm geradezu, als habe Allah persönlich ihm geholfen, seiner untreuen Frau auf die Schliche zu kommen. Sie hatte einfach seinen Sohn entführt. Schlimm genug, dass sie selbst abgehauen war und
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