Angst im Paradies
paar kleine Annehmlichkeiten, wie eben eine richtige Toilette und Toilettenpapier, dann hätte ich durchaus glücklich sein können. Aber so wie es war, war es ein Disaster, mit dem ich immer schwerer zurechtkam.
Modous erneutes Auftreten hatte es noch schlimmer gemacht. Jetzt konnte ich wahrscheinlich nicht einmal mehr Fatou treffen. Wenn Modou dahinter kommen würde, wäre sicher die Hölle los. Ein solches Risiko wollte ich lieber nicht eingehen. Außerdem würde es auch Fatou in Schwierigkeiten bringen. Ich hatte mich schon als Kind unwohl gefühlt, wenn ich Heimlichkeiten gehabt hatte und daran hatte sich auch jetzt nichts geändert. Doch was blieb mir übrig? Ich hatte diese Situation weder gewollt, noch hatte ich die Situation gemacht.
„Julia“, ertönte Awas Stimme vor der Tür.
Ich wusch mir schnell noch einmal über das Gesicht und öffnete dann vorsichtig die Tür. Awa musterte mich eingehend, huschte dann ins Innere und verschloss die Tür wieder.
„Man sieht genau, was mit dir los ist. Du musst dich irgendwie zusammenreißen“, sagte Awa eindringlich. „Ich weiß, wie du dich fühlst und das es sehr schwer für dich sein muss, aber du musst es irgendwie schaffen, ruhig zu bleiben, dir nichts anmerken zu lassen. Je mehr du deine wahren Gefühle zeigst, desto mehr wird er es ausnutzen und mit dir spielen. Er ist wie eine Katze, die mit der Maus spielt. Je mehr du Angst hast, desto mehr Spaß macht es ihm. Er wartet darauf, bei dir Fehler oder Schwächen zu finden, damit er sich draufstürzen kann.“
„Ich habe Angst!“
Awa nahm mich in die Arme und strich mir über den Rücken.
„Ich weiß! Ich weiß das, aber er darf das nicht wissen! Bitte versuch, dich irgendwie zusammenzureißen. Ich werde dir helfen, so gut ich kann.“
Ich löste mich von meiner Schwägerin und schaute sie ruhig an. Ich musste es wissen. Musste die Frage stellen, auch wenn ich die Antwort fürchtete.
„Wie lange wird er bleiben?“ Nun war es raus und angespannt erwartete ich die Antwort.
„Lange!“, flüsterte Awa nach einigem Zögern. „Ich weiß es nicht genau, aber er hat gesagt, er wird eine Weile bleiben und das kann Wochen oder sogar Monate bedeuten!“
Meine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Um nicht zu schwanken, lehnte ich mich gegen die Wand und schloss die Augen. Schwindel erfasste mich und meine Knie schienen mit Wackelpudding gefüllt zu sein.
„Das überlebe ich nicht“, flüsterte ich tonlos.
Awa ergriff mich fest bei den Armen.
„Doch! – Das wirst du!“, sagte sie eindringlich. „Du wirst überleben und du wirst deine Freiheit wieder bekommen. Ich weiß noch nicht, wie. Doch ich weiß, dass du es eines Tages schaffen wirst und ich werde dir helfen! – Ich helfe dir!“
Ich blickte Awa an, die mich noch immer festhielt. Awa war noch jung, aber es lag ein entschlossener Ausdruck auf ihrem Gesicht, der mir Mut machte. Awa hatte recht. Ich durfte jetzt nicht die Fassung verlieren. Irgendwann würde ich fliehen und Awa würde mir helfen. Aber das konnte nur gelingen, wenn ich Ruhe bewahrte und stark blieb. Modou würde nicht ewig hier bleiben. Er mochte die Annehmlichkeiten im Kombo zu sehr und würde sich schon bald nach Partys, Fernsehen und Internet sehnen und mich wieder verlassen. Ich musste nur so lange durchhalten. Schließlich nickte ich und Awa ließ mich los.
„Du hast recht“, sagte ich jetzt viel entschlossener. „Ich danke dir!“
Awa nickte zufrieden.
„Du gehst jetzt zurück, ich komm ein paar Minuten später. Kopf hoch und denk immer an Lamin. Für ihn musst du stark sein!“
Ich nickte und entriegelte die Tür. Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet hatte, öffnete ich sie und trat ins Freie. Awa schloss die Tür hinter mir.
Mit festem Schritt ging ich zurück. Ich bemerkte nicht, dass jemand mich genau beobachtete.
*
Als ich zu der noch immer beim Essen versammelten Familie zurückkehrte, war Modou nicht da. Erleichtert setzte ich mich auf meinen Platz und zwang mich, meine Schüssel ruhig leer zu essen, als wenn nichts gewesen wäre. Nach dem Essen beteiligte ich mich an dem Abwasch, dann ging ich ins Haus, um nach Lamin zu sehen, den ich hingelegt hatte. Als ich ins Zimmer trat, fand ich Modou vor, der am Bett unseres Sohnes stand. Am Liebsten wäre ich schnell wieder hinausgeflohen, doch das wäre zu auffällig, also zwang ich mich, möglichst ruhig das Zimmer
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