Angst im Paradies
wieder nickte sie für wenige Minuten ein. Schließlich hielt Modou den Esel an. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie gefahren waren. Er hob sie von dem Karren und trug sie zu einer Hütte. Die Hütte kam ihr irgendwie bekannt vor, doch die Schmerzen und der Schock lähmten ihren Verstand. Sie betraten das Innere und er ließ sie auf eine schmutzige Matratze fallen. Dann hörte sie, wie die Tür geschlossen und verriegelt wurde. Sie war gefangen!
*
Die nächsten Wochen besuchten Fatou und ich mehrmals die eingesperrte Binta und brachten ihr Pencha und Mangos mit. Die Schalen und die Kerne der Mangos nahmen wir immer in einer Tüte wieder mit, um keinen Hinweis auf unseren Besuch zu hinterlassen. Der Regen wurde nun immer öfter und heftiger und es war immer gefährlicher, Binta zu besuchen, da wir nur zu leicht Spuren in dem schlammigen Boden hinterlassen konnten. Wir gaben zwar unser Bestes, die Spuren zu verwischen, doch ein Risiko blieb es dennoch. Anfang August mussten wir unsere Besuche einstweilen einstellen. Ich hatte Binta sehr lieb gewonnen. Ebenso Fatou, die ich offiziell eigentlich gar nicht näher kennen durfte. Wenn wir uns im Frauengarten sahen, grüßten wir uns nur mit einem unverfänglichen „Salem alaikum!“, wie jeder hier jeden grüßte.
Als ich gerade Lamin wickelte, stürmte Awa in das Zimmer. Sie schien sehr aufgeregt und besorgt.
„Er ist wieder da!“
Mein Herz schien einen Moment auszusetzen bei dieser Nachricht. Ich hatte Mühe, mit meinen zittrigen Händen die Stoffwindel zuzuknoten. Nachdem ich es schließlich geschafft hatte, zog ich ein Gummihöschen darüber und legte den Kleinen in sein Bett.
„Dann geh ihn besser begrüßen“, sagte ich tonlos. „Ich werde auch gleich kommen!“
Awa schaute mich mitfühlend an, dann zuckte sie seufzend die Schultern und verließ das Zimmer. Ich schaute auf meinen friedlich daliegenden Sohn hinab. Meine Glieder waren wie gelähmt. Ich wusste, dass es meine Pflicht war, meinen Mann zu begrüßen, doch meine Beine wollten mir nicht gehorchen und blierchn und ben stur vor dem Kinderbett stehen. Mit aller Macht zwang ich mich zur Ruhe. Es würde mir nicht helfen, hier weiter rumzustehen. Im Gegenteil würde es mir wahrscheinlich sehr schaden.
Reiß dich zusammen Julia!
Wertvolle Zeit verstrich und ich nahm allen Mut zusammen und wandte mich zum Gehen. Früher oder später würde ich ihm gegenübertreten müssen und es war besser früher, als später, wollte ich ihn nicht noch zusätzlich Gelegenheit geben, mich zu maßregeln. Mit klopfendem Herzen und einem Knoten im Magen verließ ich mein Zimmer, um mich meinem Mann zu stellen.
*
Modou saß mit der Familie unter dem großen Mangobaum. Er rauchte eine Zigarette und trank Ataya mit den Männern. Als ich aus dem Haus trat, blickte er auf und musterte mich mit unergründlichem Blick. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Meine Beine trugen mich vorwärts, doch eigentlich sträubte sich alles in mir dagegen. Viel lieber wollte ich kehrt machen und die Beine in die Hand nehmen. Ich wollte einfach davon laufen. Doch selbst wenn ich das könnte, so würde ich meinen Sohn ja doch nicht in Stich lassen können. Dafür liebte ich ihn zu sehr. Immer mehr nahm ich in allem Bintas einstige Rolle ein. Nun es sollte noch schlimmer kommen.
Mechanisch begrüßte ich meinen Mann und setzte mich neben ihn. Er zog noch zweimal tief an seiner Zigarette und warf sie in die glühende Kohle des kleinen Grills, worauf der Ataya gekocht wurde.
„Wo ist Lamin?“, fragte Modou.
„Im Bett. Er war müde. Ich habe ihn gerade hingelegt, deswegen komme ich so verspätet.“
„Hm!“ Das war alles, was er dazu zu sagen hatte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Vater und Malik zu, die sich über die zu erwartende Erdnussernte unterhielten.
Ich nahm ein Glas Ataya entgegen, welches mir Sona reichte, die für die Frauen ebenfalls Ataya zubereitete. Das starke und süße Getränk beruhigte meine Nerven ein wenig. Weil es so heiß war, konnte ich nur kleine Schlucke trinken. Als das Glas leer war, gab ich es Sona zurück, die es ausspülte und zu dem zweiten Atayaglas auf ein kleines Tablett stellte. Man brauchte stets zwei Gläser, um den Tee von einem Glas in das andere zu gießen, bis das Getränk schäumte. Man kühlte den Ataya auf diese Weise ab. Wenn zwei Gläser fertig waren, wurden sie an zwei Personen zum Trinken gereicht, die dann die leeren Glaser zurückgaben. Dann schenkte
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